Umgang mit Ärger und Wut

An­spra­che von Ji­un Ro­shi im Fe­bru­ar 2017

Gu­ten Mor­gen! Geht es euch gut? Der Um­gang mit Emo­tio­nen im Bud­dhis­mus soll heu­te un­ser The­ma sein.

Die Emo­ti­on, über die ich von euch am meis­ten hö­re, sind Är­ger und Wut, ist bö­se zu sein. Wenn ihr bö­se seid, bleibt ihr meis­tens in dem The­ma des Är­ger­nis­ses hän­gen, bei sei­nem an­geb­li­chen Ur­he­ber. In­dem ihr da im­mer wie­der hin­geht, macht ihr das The­ma im­mer grö­ßer und na­tür­lich är­gert ihr euch im­mer mehr. Noch be­deut­sa­mer ist frei­lich, dass ihr dann oft aus dem Är­ger und der Wut her­aus han­delt. Es gibt al­so zwei Pha­sen, zwei Aspek­te: auf der ei­nen Sei­te die Emo­ti­on in euch, auf der an­de­ren das Han­deln aus die­ser Emo­ti­on her­aus. Es ist wich­tig, bei­des aus­ein­an­der­zu­hal­ten. In Be­zug auf die Leh­re von Ur­sa­che und Wir­kung, vom Kar­ma ist ins­be­son­de­re letz­te­res von Be­deu­tung: nicht aus Är­ger und Wut her­aus han­deln, nicht han­deln mit der Ab­sicht, Bö­ses zu tun.

Ei­ne Mög­lich­keit, mit Är­ger und Wut um­zu­ge­hen, be­ginnt da­mit, dass du sagst: Es ist Ärger/ Wut in mir statt ich bin ärgerlich/ wü­tend. Das hört sich sehr ein­fach an, macht aber ei­nen gro­ßen Un­ter­schied. Wenn du sagst, es ist Ärger/Wut in mir, merkst du so­fort, dass auch noch vie­le an­de­re Din­ge in dir sind. Wenn du hin­ge­gen sagst, ich bin verärgert/wütend, scheint es da nichts an­de­res zu geben.

Um dem Han­deln aus die­sen Emo­tio­nen her­aus vor­zu­beu­gen, musst du die Emo­ti­on in den Griff be­kom­men. Är­ger und Wut gibt es auf zwei Ar­ten: als men­ta­le Idee, und: ich bin auf je­man­den bö­se, dann han­delt es sich um ein phy­si­sches Ge­sche­hen. Wenn du mit Är­ger und Wut um­ge­hen möch­test – das glei­che gilt auch für al­le an­de­ren Emo­tio­nen – dann soll­test du nicht nä­her auf die Idee zu­ge­hen, denn dann ist die Chan­ce sehr groß, dass du wie­der bei ih­rem so­ge­nann­ten Ur­he­ber lan­dest, wo­durch die Emo­ti­on ih­rer­seits ak­ti­viert wird. So­bald du den lei­di­gen Kol­le­gen vor dir siehst, dir vor­stellst, sind der Är­ger, die Wut wie­der da. Es ist viel si­che­rer, dich auf den an­de­ren Aspekt zu­zu­be­we­gen. Dann gehst du zu dei­nem Kör­per, zum Är­ger, zu der Wut in dei­nem Kör­per. Im Bud­dhis­mus nen­nen wir das Emp­fin­dung. Du kannst dich z.B. fra­gen: Wie ist der Är­ger oder die Wut sicht­bar in mei­nem Kör­per? Ist es ei­ne Wär­me, hat er/sie ei­ne Tem­pe­ra­tur, ei­ne Far­be, ist es ei­ne Be­we­gung, wo spü­re ich ihn/sie ei­gent­lich, was ist das ei­gent­lich, was ich Är­ger oder Wut nen­ne? Es geht al­so nicht dar­um, dass Är­ger oder Wut weg­müs­sen. Ei­gent­lich ganz im Ge­gen­teil: du gehst mit of­fe­nen Ar­men auf sie zu, je­doch auf der Ebe­ne der Emp­fin­dun­gen. Du um­armst so­zu­sa­gen dei­nen Är­ger, dei­ne Wut. Du wirst sie rich­tig ken­nen ler­nen. Und wenn du das machst, gibt es kei­ne Ver­bin­dung mehr zum an­geb­li­chen Ur­he­ber, er/sie wird al­so nicht mehr reaktiviert.

Nun, Är­ger und Wut ken­nen wir al­le, und wir wis­sen, dass wir auf ih­rem Hö­he­punkt ei­ne enor­me Kraft und En­er­gie be­sit­zen. Mög­li­cher­wei­se wird das, was ich nun sa­gen will, über­haupt nicht funk­tio­nie­ren. Du bist noch viel zu nah dran an dem an­geb­li­chen Ur­he­ber, an die­sem ge­fürch­te­ten, lei­di­gen Kollegen.

Ei­ne an­de­re Art, mit Är­ger oder Wut um­zu­ge­hen, ist, wie wir sa­gen, uns selbst auf null zu­rück­zu­fah­ren. Brin­ge dich selbst zu­erst an ei­nen ru­hi­gen Ort. Ein ru­hi­ger Ort, den du im­mer bei dir hast, ist der Atem. Aber auch die Na­tur zum Bei­spiel. Schau dir mal den Gras­halm an, wie er sich im Wind hin und her be­wegt. Schau dir mal ein­fach nur die Son­nen­strah­len oder die dunk­len Wol­ken an, wenn auch nur für ei­ne Se­kun­de. Mei­ne Meis­te­rin nann­te das: Ch­an­ge your mind. Ein­mal kam ich vol­ler Kla­gen, Wut, Neid zu ihr: just ch­an­ge your mind. Wir wis­sen al­le ganz ge­nau, was ge­meint ist. Aber du musst es na­tür­lich auch wol­len. Manch­mal war ich so un­glaub­lich nei­disch oder bö­se, dass ich tat­säch­lich so lan­ge da­bei­blei­ben woll­te, bis et­was da­ge­gen ge­macht wur­de, bis ich ge­wis­ser­ma­ßen zu Recht bö­se war. Du willst manch­mal zu­erst die Be­stä­ti­gung be­kom­men: Ich bin zu Recht bö­se. So­lan­ge die­ses Be­dürf­nis noch da ist, wirst du die­se Vor­schlä­ge na­tür­lich nicht an­neh­men. Aber gut, wir be­fin­den uns al­le auf dem Bud­dha-Weg, und zu ge­ge­be­ner Zeit wirst du ver­ste­hen, wel­che Fol­gen das Den­ken und Han­deln aus Är­ger oder Wut nach sich zie­hen. Und dann wirst du auch ver­ste­hen, dass du das ei­gent­lich nicht willst. Du musst es dir je­doch im­mer wie­der in dir selbst wach­ru­fen: Ich will kei­ne Schmer­zen verursachen.
Al­so be­gibst du dich an ei­nen ru­hi­gen Ort und dann wirst du spü­ren, er­kun­den, was der Är­ger oder die Wut in dir ist. Es gibt sie. Oder: da ist Un­ge­duld. Da ist Neid. Aber ich will nicht aus die­sen Ge­füh­len her­aus leben.

Ich hö­re sehr oft die Ent­täu­schung von Men­schen: Ich är­ge­re mich im­mer noch, wer­de im­mer noch wü­tend. Ja, aber da­mit bist du nicht al­lein. Da steckt nicht plötz­lich ein Ich da­hin­ter. Im­mer wie­der sind wir ein Zu­sam­men­spiel von Ge­sche­hen, dem ei­ne star­ke Kon­di­tio­nie­rung in­ne­wohnt. Wenn dir al­so ein ro­tes Tuch be­geg­net, ist die Kon­di­tio­nie­rung da: Peng! Wut! Es gibt Wut in mir. Ja. Das lässt sich nicht leug­nen. Aber: ich wer­de al­les tun, um da­für zu sor­gen, dass ich auf kei­nen Fall da­nach hand­le, dass ich mei­nen Är­ger, mei­ne Wut nicht weiterreiche.
Wir sa­gen mit­un­ter, dass Be­frei­ung dar­in be­steht, Kon­zep­te, die da sind, voll­ends zum Schwei­gen zu brin­gen. Ein Kon­zept ist ei­ne Idee, ein Ge­dan­ke. Kon­zep­te ha­ben die Ei­gen­schaft, dass wir nicht si­cher wis­sen, ob sie im­mer zu­tref­fen, ob sie rich­tig sind. Wenn du die Emo­tio­nen Är­ger oder Wut be­trach­test, dann ist da Wär­me, En­er­gie, manch­mal lau­fen wir ganz rot an. Das ist ab­so­lut re­al. Das sind kei­ne Kon­zep­te. Die Tem­pe­ra­tur, die Wär­me las­sen sich mes­sen. Man kann se­hen, wie ein Ge­sicht rot an­läuft. Das kannst du gänz­lich wahr­neh­men, des­sen kannst du dir be­wusst wer­den. Aber wenn du an dem Kon­zept fest­hältst, an der Idee von Är­ger oder Wut, dann ge­rätst du in Schwie­rig­kei­ten. Die­ser Kol­le­ge da ist ein un­glaub­li­cher Quäl­geist. Das ist ei­ne Idee, ein Kon­zept. Wenn du dar­an fest­hältst, dann hältst du an et­was fest, wo­von du nicht wirk­lich weißt, ob es zu­trifft. Wie sieht ein Quäl­geist aus, wie sollst du ihn er­ken­nen? Aber un­ter­des­sen wirst du dich fürch­ter­lich dar­über auf­re­gen. Und wer am meis­ten dar­un­ter lei­det, das bist am En­de du selbst. Und war­um lei­dest du? Weil du fest­steckst in die­ser Idee. Du kennst das gut: Wenn du so drauf bist, mag je­mand sa­gen, schau mal, was für ei­ne schö­ne Blu­me, dein Zorn je­doch sagt: Hör mir auf mit der Blu­me. Du kannst nichts mehr se­hen. Wenn du Haus­tie­re hast, ge­hen sie dir am bes­ten aus dem Weg, denn auch sie sind dann auf ein­mal Mist­vie­cher. Und all das we­gen et­was, von dem ihr nicht si­cher seid, ob es zutrifft.

Be­frei­ung be­deu­tet al­so, uns nicht so fest­zu­bei­ßen. Wenn ei­ne Si­tua­ti­on ver­kehrt ist, dann ist es so­wie­so bes­ser, nicht aus dem Är­ger, der Wut her­aus ein­zu­grei­fen, son­dern mit Weis­heit und Mit­ge­fühl. Dar­um geht es. Ich sa­ge nicht, dass al­les gut ist, was ge­schieht, dass es nichts mehr zu tun gibt, dass du nur da­für sor­gen musst, nicht wü­tend zu wer­den, na­tür­lich nicht! Es ge­sche­hen Din­ge auf der Welt, wo wir uns ein­mi­schen müs­sen. Aber wie? Was kannst du an­bie­ten in die­ser Si­tua­ti­on? Dei­ne Wut, oder dei­ne Weis­heit und dein Mit­ge­fühl. Bei­ße dich nicht fest.

Letz­ten Frei­tag stand ein schö­ner Spruch von Alan Watts auf dem Zen-Ka­len­der: Know yours­elf as not­hing, feel yours­elf as ever­y­thing. Ken­ne dich als nichts, füh­le dich als al­les. Ken­ne dich als nichts be­deu­tet: ken­ne dich selbst nicht als ein Ding, als et­was Un­ver­än­der­li­ches. Und: Füh­le dich als al­les. Ich wür­de sa­gen: Rea­li­sie­re, dass du das al­les sein kannst. Der sin­gen­de Vo­gel, der Wind, der weht, dein Nach­bar oder dei­ne Nach­ba­rin, die at­men, der Duft von Weih­rauch – du kannst al­les sein. Geh hin­ein in das, was wir die Dhar­ma-Ak­ti­vi­tät nen­nen. Hal­te nicht fest an et­was, wo­von du nicht si­cher weißt, dass es zu­trifft. Hal­te nicht fest an et­was, wo­von du denkst, dass du es tun müss­test. Hal­te nicht fest an et­was, wo­von du denkst, dass du es sein soll­test. So­bald du dich da­mit fest­legst, kannst du nicht mehr al­les sein. Dann ver­säumst du den Vo­gel, den Wind, die Son­nen­strah­len, dei­ne Nach­barn, dei­ne Kin­der, dei­nen Part­ner, dei­ne Part­ne­rin… al­les das kannst du nicht mehr sein, weil du dich selbst fest­ge­legt hast. Know yours­elf as not­hing. Rea­li­ze yours­elf as ever­y­thing. Ken­ne dich selbst als nichts und ver­wirk­li­che dich selbst als al­les. Aber man muss das wol­len. Viel­leicht fragst du dich: Aber wer bin ich denn jetzt? Nun, nor­ma­ler­wei­se, so wie du jetzt hier sitzt, bist das du. Du brauchst kein an­de­rer, kei­ne an­de­re zu wer­den. So wie du jetzt bist: al­les da. So kann ich al­so ru­hi­gen Ge­wis­sens sa­gen: Ei­nen gu­ten Tag.

(übers. a. d. Nie­der­län­di­schen von Do­ris Beh­rens, im De­zem­ber 2018)

Quel­le: Om­ga­an met boos­heid, Zen­Le­ven Herbst 2018