Umeboshi: ‚Only one doing‘

Cis­ka Matthes ist Zen-Üben­de und Schü­le­rin von Moo­ji­baba. Sie gibt Kur­se in Yo­ga, Me­di­ta­ti­on und Acht­sam­keit in Ams­ter­dam und ist re­gel­mä­ßig auf Noor­der Po­ort an­zu­tref­fen. Von 1999–2005 war sie im Trai­ning in Buk­ko­ku­ji, dem Tem­pel des zu Be­ginn die­ses Jah­res (d.h. 2018) ver­stor­be­nen Zen-Meis­ters Ha­ra­da Tan­gen Ro­shi in Oba­ma, Ja­pan. Der vor­lie­gen­de Text ist ei­ner Rei­he von Ar­ti­keln ent­nom­men, die sie zur Er­in­ne­rung an Ha­ra­da Tan­gen Ro­shi ver­fass­te. Sie lie­gen voll­stän­dig hier im Boed­dhis­tisch Dag­blad vor.

Wenn du gehst, dann nur ge­hen, wenn du fegst, dann nur fe­gen, wenn du isst, dann nur es­sen. Un­ser Tem­pel be­rei­te­te je­des Jahr sei­nen ei­ge­nen Vor­rat an Um­ebo­shi vor, die tra­di­tio­nel­len sau­ren Apri­ko­sen, die als Bei­la­ge zum Reis­brei ge­hö­ren. Die­se klei­nen Früch­te wer­den grün ge­ern­tet und ge­pö­kelt, ro­te Sh­iso-Blät­ter ge­ben ih­nen Far­be. In je­dem Früh­som­mer hal­fen ein paar un­se­rer Jungs, Lai­en und Mön­che, ei­nem ört­li­chen Apri­ko­sen­an­bau­er bei der Ern­te. Da­für er­hielt der Tem­pel ei­nen klei­nen Teil der Ern­te. Dann wer­den an ei­nem Tag zig Ki­lo Apri­ko­sen in gro­ßen Bot­ti­chen an­ge­lie­fert. Do­go-san, der Abt, schlug den Kai­sha­ku (Holz­klap­pern), um uns zu­sam­men­zu­ru­fen – das Ver­ar­bei­ten der Um­ebo­shi konn­te beginnen.

Buk­ko­ku­ji

Dann sa­ßen wir da, viel­leicht zehn, fünf­zehn Per­so­nen, und fin­gen an, Hun­der­te von Früch­ten zu sor­tie­ren und zu wa­schen. Ei­ne Auf­ga­be oh­ne En­de, wie es schien. Im Zen ist al­les Me­di­ta­ti­on, ei­ne Übung dar­in, leer und acht­sam zu sein. Kei­ne Zu­kunft, kei­ne Ver­gan­gen­heit, kein Be­mü­hen, kei­ne Ei­le. Nur das. Dich selbst in der Ar­beit ver­ges­sen. ‚Ichi tan­tei‘ nann­te Ha­ra­da Tan­gen Ro­shi das. ‚On­ly one do­ing‘ sag­te er oft in sei­nem ge­bro­che­nen Eng­lisch. Des­halb wird wäh­rend der Ar­beit nicht (oder mög­lichst nicht) ge­spro­chen, auf kei­nen Fall über dies und das ge­schwatzt! In der Pra­xis war das je­doch nicht im­mer leicht, schwei­gend in der Ar­beit auf­zu­ge­hen. Ich schau­te auf die enor­me Men­ge an Apri­ko­sen, die wir ver­ar­bei­ten soll­ten und ver­such­te, das Ge­fühl von Ver­zweif­lung und Un­ge­duld zu un­ter­drü­cken. Mit der Zeit be­griff ich, dass ich stär­ker un­ter mei­nem ei­ge­nen Wi­der­stand als un­ter der Ar­beit selbst litt. Aber da­durch konn­te ich mei­ne Un­ge­duld noch nicht so­fort los­las­sen. Die an­de­ren sa­ßen ge­dul­di­ger da – oder schien das nur so? Wir ar­bei­te­ten auf dem Ze­ment­bo­den au­ßer­halb der Kü­che. Je­de ein­zel­ne Apri­ko­se muss­te auf brau­ne Fleck­chen hin un­ter­sucht, von ih­rem Stiel­chen be­freit und dann ka­te­go­ri­siert wer­den: per­fekt, zu reif, ge­quetscht oder un­brauch­bar. Die Zeit schlich lang­sam da­hin und die Apri­ko­sen schie­nen nicht we­ni­ger zu wer­den… Mei­ne Ge­dan­ken flo­gen in al­le Rich­tun­gen. Nach ei­ner ge­wis­sen Zeit fin­gen wir an zu seuf­zen und Scher­ze zu ma­chen, um die Zeit tot­zu­schla­gen. Die Stim­mung wur­de schon ein biss­chen verdrießlich.

Ha­ra­da Tan­gen Roshi

Aber auf ein­mal hör­ten wir dann das ein­dring­li­che Räus­pern von Ha­ra­da Tan­gen Ro­shi. Es wur­de so­gleich still, als wä­re wir er­wischt wor­den. Ro­shi­sa­ma blieb vor den gro­ßen Ei­mern vol­ler Früch­te ste­hen und schau­te sie sich auf­merk­sam an. Er öff­ne­te den Mund und sprach vol­ler Re­spekt; „Ah…!“, tief be­ein­druckt von der Ern­te. Ei­ne Op­fer­ga­be für den Zen-Tem­pel. Da­nach be­rühr­te er die zar­ten, grü­nen Häut­chen, leg­te zärt­lich sei­ne Hän­de dar­auf und mur­mel­te lie­be­vol­le Wor­te der Be­wun­de­rung, es war bei­nah wie ei­ne Seg­nung. Ich schäm­te mich für mei­nen Wi­der­wil­len. Sein Herz war vol­ler Wert­schät­zung. Ro­shi­sa­ma setz­te sich zu uns und fing an, mit zu ar­bei­ten. Er war da­mals schon fast acht­zig Jah­re alt und hat­te Star auf bei­den Au­gen, wo­durch sei­ne Seh­kraft ziem­lich ein­ge­schränkt ge­we­sen sein muss. Viel­leicht hielt er des­we­gen je­de klei­ne Apri­ko­se be­son­ders lan­ge fest. Je­den­falls nahm er sich für je­des Ex­em­plar Raum und Zeit und ging ganz dar­in auf. Er dreh­te je­de ein­zel­ne Frucht um, ge­brauch­te vor­sich­tig den Zahn­sto­cher, um das Stiel­chen zu ent­fer­nen, leg­te sie dann mit ei­ner lang­sa­men Ges­te in den ent­spre­chen­den Ei­mer und nick­te zu­frie­den. Es wur­de ganz still, wäh­rend wir zu­sam­men wei­ter ar­bei­te­ten. Ab und zu blin­zel­te ich zu Ro­shi­sa­ma und dach­te: „So al­so muss das sein! Dich ganz ru­hig und auf­merk­sam der Auf­ga­be wid­men.“ Al­les, was er tat, war ei­ne wei­se Lek­ti­on. Selbst die sim­pels­ten und all­täg­lichs­ten Din­ge. Das gan­ze Jahr lang aßen wir zum Früh­stück die Buk­ko­ku­ji-Um­ebo­shi. Sie wa­ren schrum­pe­lig, hell rot und in­ten­siv sau­er und sal­zig im Ge­schmack. Mehr als zwei oder drei pro Mahl­zeit konn­te ich nicht da­von es­sen. Man­che Gäs­te lie­ßen sie lie­ber ste­hen. Aber Ro­shi­sa­ma sag­te fröh­lich: „Dies ist die bes­te Me­di­zin! Wenn du sie nicht es­sen willst, ist dein ei­ge­ner Geist so“: und er zog sein Ge­sicht zu­sam­men wie ei­ne ver­schrum­pel­te Aprikose.

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Do­ris Behrens)

Quel­le: Um­ebo­shi: ‘on­ly one do­ing’, Zen­Le­ven Herbst 2018