Gui­do En­t­ho­ven (geb. 1962) ist Vor­stands­vor­sit­zen­der von Noor­der Po­ort. Er stu­dier­te Ju­ra in Lei­den, hält re­gel­mä­ßig Vor­trä­ge und hat über 150 Ar­ti­kel in ver­schie­de­nen Zei­tun­gen und Fach­zeit­schrif­ten ver­öf­fent­licht. Er ist in so un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen wie Open Go­vern­ment (Trans­pa­renz, open da­ta), neue De­mo­kra­tie (Bür­ger­be­tei­li­gung) und Funk­ti­ons­kom­bi­na­ti­on in länd­li­chen Ge­bie­ten (neue Na­tur und Ti­ny Häu­ser) tä­tig. In der Zen-Pra­xis fin­det Gui­do Ru­he und In­spi­ra­ti­on. Mit Noor­der Po­ort war er von An­fang an eng verbunden.

Immer wieder neu mit Zen beginnen

Th­rees Vo­s­kui­len spricht mit Gui­do Enthoven
Wie hast du Zen ken­nen gelernt?
Auf The­re­sia­hoe­ve, ei­nem spi­ri­tu­el­len Zen­trum1, ha­be ich zum ers­ten Mal von Zen er­fah­ren. Ich ha­be 1987 dort drei Mo­na­te ge­wohnt und in die­ser Zeit Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi2 und Uda­ka, jetzt Ji­un Ro­shi3, ken­nen gelernt.
Da­mals las ich viel über bud­dhis­ti­sche Psy­cho­lo­gie und Bü­cher wie z.B. die Bha­ga­vad Gi­ta und Tao Te King. Die­se Denk­wei­se sprach mich sehr an, dass al­les strömt, dass es kei­nen fes­ten Kern gibt, und dass das „Ich“ even­tu­ell eher ein Kon­strukt als et­was Fes­tes ist. Es war ei­ne Art in­tui­ti­ves Er­ken­nen. Ich war jung und wuss­te noch nicht sehr viel von der Welt. Ob­wohl ich zu der Zeit noch Freun­de und Freun­din­nen hat­te, dach­te ich auch dar­an, Mönch zu werden.
Möch­test du et­was über dei­nen Hin­ter­grund erzählen?
Ich kom­me aus ei­ner Gärt­ner­fa­mi­lie aus der Pro­vinz Süd­hol­land. Wir wa­ren sechs Kin­der, zwei Schwes­tern und vier Brü­der, ich war der Dritte.
Wir sind ziem­lich tra­di­tio­nell er­zo­gen wor­den, mit har­ter Ar­beit in der Wo­che und am Wo­chen­en­de aus­gie­big fei­ern. Mei­ne El­tern wa­ren sehr ka­tho­lisch er­zo­gen, wur­den aber mit der Zeit lo­cke­rer. Ich hör­te oft klas­si­sche Mu­sik und sang als Zwölf­jäh­ri­ger in ei­nem sa­kra­len Chor, der auf ei­ner Kon­zert­rei­se nach Rom ein­mal wäh­rend ei­ner Au­di­enz vor Papst Paul VI. ge­sun­gen hat. Nach der Schu­le ha­be ich in ver­schie­de­nen Län­dern, Is­ra­el, den USA und Ka­na­da gearbeitet.
Ideen ha­ben mich im­mer fas­zi­niert, und dar­über ha­be ich ei­nen his­to­ri­schen Ro­man ge­schrie­ben der zum Teil in Frank­reich nach der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on spielt. Es geht um ei­ne Grup­pe von Men­schen, die ei­ne Wis­sen­schaft für Ideen ent­wi­ckeln wollten.
Wie war dein ers­tes Zu­sam­men­tref­fen mit Prab­ha­sa Dhar­ma, auf Theresiahoeve?
Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi hat mich sehr be­ein­druckt, und die Er­in­ne­run­gen an sie sind mir sehr wert­voll. Sie war ei­ne au­ßer­ge­wöhn­li­che Frau, bei­na­he wie aus ei­ner an­de­ren Welt. Viel­leicht idea­li­sie­re ich sie, aber die Wei­se wie sie sprach, die Ru­he, die sie aus­strahl­te, ih­re Weis­heit, das war sehr be­son­ders. Sie nahm mich mit in ei­ne Welt, die ich nicht kann­te und mich sehr berührte.
Ich ha­be dann zehn Jah­re lang oft ein bis zwei Sess­hins im Jahr bei ihr ge­macht. Mit Ji­un Ro­shi, die im­mer da­bei war, ha­be ich mich schnell gut ver­stan­den. Sie ist für mein Ge­fühl bodenständiger.
Prabhasa Dharma Zenji und Jiun Roshi, Ende der 80ger Jahre

Prab­ha­sa Dhar­ma Zen­ji und Ji­un Ro­shi, En­de der 80ger Jahre

Wie sah die­se Welt, die du nicht kann­test, aus?
Es ist schwie­rig, dies in Wor­te zu fassen.
Es war zum Teil ei­ne al­te, mir un­be­kann­te Welt mit Ge­schich­ten über al­te Meis­ter, über das al­te Ja­pan, das al­te Chi­na, In­di­en, über Bod­hid­har­ma usw. Es war die Art, wie Ro­shi mit ei­nem Ko­an um­ging, ih­re Teis­hos und wie sie über Me­di­ta­ti­on sprach. Zum Teil be­rühr­te sie mich di­rekt von Herz zu Herz, von Geist zu Geist über Din­ge, die sie sag­te und die sie uns mitgab.
Über Ro­shi ha­be ich auch ge­hört, dass sie sehr streng sein konn­te. Er­in­nerst du dich daran?
Ja, ge­wiss. Ich ha­be sie si­cher auch mal gars­tig er­lebt. Sie war ein ech­ter Mensch mit al­lem, was da­zu ge­hört. Ich weiß noch gut, dass ich als jun­ger Mann re­gel­mä­ßig sehr kom­ple­xe Theo­rien äu­ßer­te, und dann we­del­te sie mit ih­rem Stock und sagte:
„Füh­le dich von mei­nem Stock geschlagen!“
Ei­gent­lich hat­te ich ihn we­gen mei­ner Aus­sa­gen auch ver­dient. Dann ha­be ich wäh­rend des Do­ku­san oder auch sonst über Din­ge ge­re­det, von de­nen sie mein­te, die­ser Na­se­weis hat zu viel über den Bü­chern ge­ses­sen. Sitz mal ganz ge­wöhn­lich auf dem Kis­sen! Das ha­be ich gut in Er­in­ne­rung be­hal­ten. Für mich war das nicht streng, denn es stimm­te ja.
Gab es Zei­ten, in de­nen du nicht so oft auf Noor­der Po­ort warst?
Ja, aber es war nie so, dass ich mich nicht zu­ge­hö­rig fühl­te. Zum Bei­spiel sit­ze ich zur­zeit re­gel­mä­ßig auf mei­nem Kis­sen, aber die Sess­hins, die ich in den letz­ten Jah­ren be­sucht ha­be, kann man an ei­ner Hand ab­zäh­len. Ich weiß nicht, wor­an das liegt. Ich ha­be dar­über schon mit Ji­un Ro­shi ge­spro­chen. Sie sag­te: „Manch­mal hat man sol­che Pha­sen, je­der hat sei­nen ei­ge­nen Rhyth­mus.“ Das hat mich sehr be­ru­higt. Ich me­di­tie­re ger­ne je­de Wo­che ei­ni­ge Ma­le und manch­mal auch zwei Mal täg­lich. Dass ich kein Sess­hin be­sucht ha­be, hat mit mei­nem vol­len Le­ben zu tun, mei­nen Kin­dern und ge­mein­sa­men Ur­lau­ben. Das ist die Wahl, die man tref­fen muss, und das ist auch gut so.
Strebst du an, mehr zu meditieren?
Ich mer­ke, dass es mir nicht gut­tut, wenn ich mal ei­ne Wo­che lang nicht sit­ze. Ich wan­de­re re­gel­mä­ßig al­lei­ne, auch ei­ne Form der Meditation.
War­um ist es ei­gent­lich not­wen­dig zum Me­di­tie­ren auf dem Kis­sen zu sitzen?
Es ist ei­ne Form von geis­ti­ger Hy­gie­ne. So wie du dei­nen Kör­per rei­nigst, so ist es auch gut, re­gel­mä­ßig dei­nen Geist zu rei­ni­gen. Ro­shi sag­te: „Es ist so in et­wa wie Zäh­ne­put­zen.“ Es ist kei­ne gu­te For­mu­lie­rung, aber der Kopf „ver­schlammt“, der Ge­dan­ken­fluss wird stets mit Neu­em ge­füt­tert, ob du liest, mit Men­schen re­dest, ei­ne Se­rie an­schaust oder was auch im­mer. Bei mir wird der Fluss zu­sätz­lich noch durch mei­ne ver­schie­de­nen Pro­jek­te ge­füt­tert. Dar­um ist es um so wich­ti­ger, zur Ru­he zu kom­men. Wenn du dei­ne Ge­dan­ken stoppst, oder zu­min­dest nach ih­nen schaust, wer­den sie lang­sam kla­rer. Das ist der Zweck, der da­hin­ter­steckt. Mehr weiß ich dar­über nicht.
Guido zu Hause auf seinem Kissen

Gui­do zu Hau­se auf sei­nem Kissen

Be­schäf­tigst du dich mit dem Be­griff „Er­leuch­tung“, oder hast du dich je da­mit beschäftigt?
Das fand ich vor al­lem am An­fang sehr in­ter­es­sant, aber jetzt be­schäf­ti­ge ich mich nicht mehr da­mit. Ich ha­be wohl be­stimm­te Er­fah­run­gen ge­macht, aber wann ist et­was ei­ne Er­leuch­tungs­er­fah­rung und wie lan­ge dau­ert sie an? Ich se­he es viel mehr an als ei­nen Pro­zess von Wach­heit, wach sein, wach blei­ben, kla­rer sein und blei­ben. Mehr als ei­nen Ent­wick­lungs­pro­zess als ein Schwarz/Weiß, tat­säch­lich er­leuch­tet oder nicht. Ich se­he mich vor al­lem als ewi­gen An­fän­ger, um auf Suzuki´s „Zen-Geist – An­fän­ger-Geist“4 zu ver­wei­sen. Es hat et­was Schö­nes, im­mer wie­der neu zu be­gin­nen, und je­der­zeit neu­gie­rig zu sein, auch in Be­zug auf das Sit­zen selbst und was da­bei passiert.
Du hast schon ei­ne sehr lan­ge Be­zie­hung zu Noor­der Poort.
Ja, das stimmt. Ich war mit vie­len an­de­ren Men­schen schon beim ers­ten Brain­stor­ming über ein neu­es Zen­trum da­bei. Ich saß auch schon im ers­ten Vor­stand von Noor­der Po­ort. Als Ju­rist war ich mit der al­ler­ers­ten Sat­zung beschäftigt.
Kannst du noch et­was über die Re­le­vanz von Noor­der Po­ort als In­sti­tut sa­gen, ge­ra­de in un­se­rer jet­zi­gen ge­sell­schaft­li­chen Schnelllebigkeit?
Für mich ist es ein Ort der Ru­he und Weis­heit in der au­ßer­ge­wöhn­lich hek­ti­schen, un­ru­hi­gen und aus­ein­an­der­bre­chen­den Zeit. Noor­der Po­ort in sei­ner Ganz­heit ist das Ge­gen­teil da­zu. Die Wär­me, die Gast­freund­schaft, das Ver­an­kert­sein in ei­ner Tra­di­ti­on. Es ist so an­ders als der täg­li­che Wahn­sinn. Es steht im Ge­gen­satz zu der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Dy­na­mik, die so un­ru­hig und po­la­ri­sie­rend ist. In die­sem Sin­ne hat Noor­der Po­ort für mich die Funk­ti­on ei­nes Ru­heor­tes. In der Sang­ha hö­re ich, dass es vie­len Leu­ten so geht. Bei mir wirkt sich das auch auf mein täg­li­ches Le­ben aus. Zum Teil ist es durch Noor­der Po­ort in­sti­tu­tio­na­li­siert, aber es kommt auch durch die Be­geg­nun­gen mit Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi und Ji­un Ro­shi. Ich wür­de mir wün­schen, dass Ji­un Ro­shi ei­ne grö­ße­re ge­sell­schaft­li­che Rol­le spie­len wür­de, aber ich weiß nicht wie oder wo. Mehr sol­che Men­schen in der Re­gie­rung, das wä­re sehr schön.
Das Hauptgebäude des Noorder Poort (noch ohne Sonnenkollektoren)

Das Haupt­ge­bäu­de des Noor­der Po­ort (noch oh­ne Sonnenkollektoren)

Ist Noor­der Po­ort nicht et­was zu klein geblieben?
Wie­so klein? Es ist ein le­ben­di­ges und blü­hen­des Zen­trum. Es gibt ge­nug Zen­tren, die grö­ßer ge­wor­den, nach sie­ben bis zwölf Jah­ren aber ver­schwun­den sind. In die­sem Zu­sam­men­hang fin­de ich es be­wun­derns­wert, dass im­mer noch die ur­sprüng­li­che See­le und Spi­ri­tua­li­tät vor­han­den ist. Ji­un Ro­shi ist aus gu­tem Grund der Mei­nung, dass Noor­der Po­ort sich auf das kon­zen­trie­ren soll, wo­für es ge­grün­det wur­de: die Wei­ter­ga­be der lan­gen Zen-Tra­di­ti­on. Es ist kein Kon­fe­renz­zen­trum, in dem Ver­bin­dun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen Glau­bens­rich­tun­gen wie Hin­du­is­mus oder Chris­ten­tum her­ge­stellt wer­den sol­len. Ich weiß, dass Ji­un Ro­shi ab und zu auf sol­che Kon­fe­ren­zen ein­ge­la­den wird und da auch Vor­trä­ge hält. Da­für ist sie durch­aus zu ha­ben, aber auf Noor­der Po­ort be­wahrt sie die Iden­ti­tät von Zen. Und ich den­ke, das ist auch gut so.
Siehst du dich selbst als Bud­dhist, als Zen-Buddhist?
Ja, wenn auch zö­gernd, denn ich mag es nicht, in ei­ne Ecke ge­stellt zu wer­den. Ich ha­be die Ge­lüb­de5 nicht ab­ge­legt, ha­be auch kei­nen bud­dhis­ti­schen Na­men, und da­mit füh­le ich mich vor­läu­fig wohl. Aber ich über­le­ge auch, es doch noch zu tun, denn ich füh­le mich mit Ji­un Ro­shi, der Sang­ha, der Zen-Tra­di­ti­on und al­lem, was da­zu ge­hört, ver­bun­den. Das liegt viel­leicht auch am Ka­tho­li­schen: Das zu Trä­nen ge­rührt sein, wenn mor­gens der Gong ge­schla­gen wird. Das ist so schön. Ich me­di­tie­re nun schon seit vie­len Jah­ren im­mer wie­der ei­ni­ge Wo­chen auf Noor­der Po­ort, und es ist je­des Mal wie ein war­mes Bad. Die Men­schen, die hier woh­nen, schät­ze ich sehr. Das ge­mein­sa­me Es­sen, die Sorg­falt, mit der die Mahl­zei­ten zu­be­rei­tet wer­den, die ge­mein­sa­me Re­zi­ta­ti­on, die Tex­te, die Klän­ge, die Stil­le, hier­in ver­birgt sich ei­ne un­glaub­li­che Schönheit.
1 In Nord­bra­bant ge­le­gen (Anm. d. Übers.)
2 Prab­ha­sa Dhar­ma wur­de von ih­ren Schüler*innen meist kurz ‚Ro­shi‘ ge­nannt, so wie teil­wei­se auch in die­sem Interview
3 Im wei­te­ren Ver­lauf des In­ter­views nen­nen wir sie ‚Ji­un Ro­shi‘, weil die Leser*innen sie un­ter die­sem Na­men kennen.
4 Shun­ryu Su­zu­ki: Zen-Geist. An­fän­ger-Geist. Über­tra­gung aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Sil­vi­us Dor­nier und Pir­min Ragg. The­sus-Ver­lag Zü­rich, 3. Aufl. 1982. (Hin­weis d. Übers.)
5 Das Wich­tigs­te ei­ner Ge­lüb­de-Ze­re­mo­nie ist, dass du ver­sprichst, dich an die zehn bud­dhis­ti­schen Le­bens­re­geln zu hal­ten. In die­ser Ze­re­mo­nie nimmst du auch Zu­flucht und wirst da­mit for­mell Buddhist*in.
(Aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt und ge­kürzt von Ma­ria Fröh­lich und Do­ris Behrens)
Quel­le: Steeds weer met zen be­gin­nen aus Zen­Le­ven Früh­jahr 2025