Zen-Meisterin werden, ein persönlicher Bericht
Von Anshin Tenjo Roshi
Als Jiun Roshi sagte, dass sie mich zur Zen-Meisterin ernennen wollte, kam das ziemlich unerwartet für mich. Ich hatte nie den Ehrgeiz, Zen-Meisterin zu werden, und ich sehe mich selbst auch nicht als Zen-Meisterin. Ich war also sehr erstaunt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Jiun Roshi offenbar darauf vertraut, dass ich diesen Schritt tun kann und sie es vielleicht als wichtig für die Sangha erachtet, dass ich diese Rolle übernehme.
Wenn ich schreibe, dass ich mich selbst nicht als Zen-Meisterin sehe, heißt das auch, dass ich ein bestimmtes Bild von diesem Amt habe. Ein verschwommenes Bild von jemandem, der das kann und tiefe Erkenntnis hat, eine Art Endstation. Dann bist du es. So ein Bild entsteht nur, wenn ich auf Distanz zu dem Amt gehe, dann gibt es einen Unterschied zwischen Tenjo und der Rolle als Zen-Meisterin. Ich schaue darauf und habe Vorstellungen davon.
Glücklicherweise lagen eineinhalb Jahre zwischen dem Moment, als ich das hörte und dem Moment, als die Ernennung stattfand. So hatte ich Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen und meine Zweifel sich herauskristallisieren zu lassen. In meinem Training habe ich gelernt, zuerst ja zu sagen, wenn ich um etwas gebeten werde und dann zu schauen, wie weit ich komme. Um diesen Schritt zu gehen, muss ich das oben beschriebene Bild loslassen und brauche mich nicht dafür zu prüfen. Ich brauche es nur zu sein, und Jiun Roshi schenkt mir Anerkennung dafür. Ich weiß nicht, wie es ist, Zen-Meisterin zu sein, und wie es ist, werde ich jeden Moment aufs Neue erfahren. Ist das nicht genau das, wo der Zen-Weg hinführt? Gehen, wo kein Weg ist? Es einfach nur tun?
Es ist ein Weg, auf dem ich mich stets daran erinnern werde, dass ich keinem Bild entsprechen muss. Nicht meinen eigenen Bildern, aber auch nicht den Bildern anderer. Auch andere Menschen werden Vorstellungen davon haben, wie eine Zen-Meisterin sein muss und mich daran messen. „Meisterin, bist du wach? Lass dich dann durch andere nicht in Verwirrung bringen.“ Die Trennlinie zwischen mir und anderen ist unscharf, wenn es überhaupt eine gibt. Ich spüre immer mehr, dass andere Menschen jetzt meine Meisterin oder mein Meister sind. Durch sie schaue ich auf mich, und daraus lerne ich.
Auch folgendes Koan soll mich auf dem Weg begleiten.
Eine wahre Person, ohne Namen, Titel, Alter, Geschlecht und Rang geht frei durch die Tore der Sinne ein und aus. Wer ist das? Mich immer wieder zurückführen zu dem, was ich wirklich sehe, rieche, höre und so weiter, ohne dass Deutung, Erwartung oder Urteil dazwischentreten. Wo ist die sogenannte Zen-Meisterin dann?
Als Zen-Meisterin werde ich dafür Sorge tragen, dass die Lehre, außerhalb der Worte, weitergegeben werden kann. Die Form, in der dies geschieht, ist von Bedeutung und muss in die Zeit und die Kultur passen, in der wir jetzt leben, und sie muss ebenso in die Tradition passen, die uns weitergegeben wurde. Ich bin bereit, eine Rolle darin zu spielen. Das fühlt sich für mich verbindlich an. Durch die Lehre und das Training, das ich erfahren habe, habe ich Reichtum und Befreiung erlebt, und eigentlich kann ich gar nicht anders, als das selbst auch wieder weiterzugeben.
Natürlich bin ich nicht perfekt, auch nicht als Zen-Meisterin. Ich habe meine Schwächen und bin für sie verantwortlich. Als eine wichtige Antriebskraft im Amt sehe ich an, mich in meinem Tun und Lassen nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um eine feine Grenze zwischen ganz und gar präsent sein und keine Aufmerksamkeit mir selbst als Individuum zu schenken.
In diesem Text habe ich versucht, etwas über mich zu erzählen, um meine Stellung in der Sangha zu verdeutlichen, damit wir weiterhin harmonisch miteinander umgehen.
Harmonie bedeutet für mich nicht, dass Unterschiede aufgehoben werden müssen. Wir können und müssen nicht mit allen eins sein. Daran lernen wir und bereichern uns gegenseitig. Das können schwierige Momente sein, weil wir einander dann nicht verstehen und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Harmonie bedeutet für mich, dass wir respektvoll miteinander verbunden bleiben, auch in schweren Zeiten. Uneinigkeit bedeutet, dass wir die Einigkeit, die Verbindung, die wir miteinander haben, abbrechen. Meine Absicht ist es, die Einigkeit bei (den Mitgliedern) der Sangha aufrechtzuerhalten, ganz gleich, in welcher Situation.
- Kannst oder möchtest du uns etwas darüber erzählen, was in dir vorging, als du hörtest, dass dir das Amt der Roshi übertragen werden sollte?
- Macht es für dich einen großen Unterschied, den Titel „Roshi“ oder den Titel „Osho“ zu tragen? Wie schaust du auf die beiden Titel?
- Meinst du, dass du dich als Roshi stärker für die Sangha verantwortlich fühlen solltest, und wenn ja, hast du Beispiele dafür, wie sich das äußern könnte?
- Gibt es Dinge, von denen du dir vorstellen kannst, dass du sie als Roshi nicht mehr tun solltest, auch wenn du in der Vergangenheit so gehandelt hast? Und wenn ja, möchtest du uns Beispiele nennen?
- Wenn du in deinem Leben mit etwas zu kämpfen hast, etwas, wo du wirklich mit sitzt, wirst du das als Roshi auch z.B. Freunden oder der Familie erzählen oder meinst du, dass du selbst dafür Lösungen finden musst?
(aus dem Niederländischen übersetzt von Doris Behrens)
Quelle: Zenmeester worden, een persoonlijk verhaal in ZenLeven Frühjahr 2023