Im Zazen kommt das Sein zum Vorschein
Daido interviewt von Trees Voskuilen
Es ist sehr heiß, als Daido direkt nach Mittag durch die Heide nach Havelte radelte. Die fast einstündige Radtour fiel ihm nicht schwer, denn Daido wuchs in einem tropischen Klima auf. Dank der Rollläden, die ich schon früh geschlossen hatte, ist die Temperatur in meinem Haus angenehm. Versorgt mit gekühltem Sprudelwasser beginnen wir das Interview für ZenLeven.
Gestern hattest du einen B‑day. Was hast du da gemacht?
B‑day steht für bath and needles. An diesem Tag sind die Unsui frei von Verpflichtungen, so dass sie sich um persönliche Angelegenheiten kümmern und entspannen können.
Jeden B‑day fang ich mit Zazen an, dabei benutze ich kein Glöckchen. Ich sitze da morgens ungefähr eine Stunde. An so einem freien Tag skype ich mit meinen Eltern. Gestern habe ich mit meiner Mutter gesprochen. Meine Eltern sind geschieden und der Kontakt zu meinem Vater ist immer etwas schwieriger. Zu Mittag koche ich für mich selbst, und dann male ich oft stundenlang Blumen. Draußen, außerhalb von Noorder Poort, schaue ich mir hauptsächlich Blumen und Menschen an, und dann scheint es manchmal so, als ob Blumen mich leiten. Gestern bin ich nach Frederiksoord und Vledder geradelt, wo ich mir im Supermarkt etwas Asiatisches zum Essen gekauft habe. Einen B‑day beende ich immer mit Zazen im Zendo.
Willst du etwas über dein Leben erzählen?
Ich bin in Hanoi, einer großen Stadt im Norden Vietnams, geboren und aufgewachsen. Da ging ich zur Schule. Ich mag die Energie von Hanoi, es ist sehr geschäftig und lebendig. Die Stadt vibriert. Die Sonne scheint fast immer und es gibt kaum Unterschiede zwischen drinnen und draußen. Wenn die Nachbarn miteinander streiten oder Musik einschalten, hört man das. Vor vier Jahren, vor der Corona-Pandemie, war ich ungefähr ein halbes Jahr wieder in Hanoi. Als ich dort meditierte, bemerkte ich wirklich, wie groß der Unterschied zwischen Hanoi und Noorder Poort ist. In Hanoi hören Geräusche und Lärm nie auf; Kinder schreien, Menschen reden, sie lachen, rufen einander zu oder machen Musik, sie trommeln. Auf Noorder Poort ist es so anders, so ruhig und still. „Der Vietnamese“ ist von seiner Art her sehr ruhig, freundlich und bedachtsam; es ist wichtig, Menschen nicht zu verletzen und nachzudenken, bevor du sprichst. Der Buddhismus ist die Hauptreligion in Vietnam, und er sitzt so tief, dass wir uns mancher Dinge nicht einmal mehr bewusst sind. Vietnam als Land ist mit dem Buddhismus verbunden, aber ich bin selbst nicht buddhistisch erzogen. Auf Formularen mit einem Feld für Religion schreibe ich immer „ohne Religion“, genau wie meine Eltern. Eigentlich wusste ich fast nichts über den Buddhismus. Ich bin wohl einmal in einem Tempel gewesen, in dem Menschen um Glück beten, und wo der Buddha als eine höhere Entität angesehen wird, aber all das berührte mich nicht.
Du gingst nach Europa
Ja, ich wollte gern nach England. Als ich zwanzig war, studierte ich Wirtschaft an der Universität von Cardiff. Dort habe ich meinen MBA, Master of Business Administration, gemacht. Alles, was mit Zahlen zu tun hat, fand schon immer mein großes Interesse. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Meine Mutter ist etwas aufgeschlossener als mein Vater. Sie macht sich nicht so viele Sorgen um mich und denkt, das Wichtigste ist, dass ich glücklich bin. Mein Vater ist darin anders. Er ist Geschäftsmann und möchte auch, dass ich ein gutes und glückliches Leben habe, aber er denkt, dass Glück in Geld, Besitz und Prestige liegt. Bisher konnte ich ihm nicht klar machen, dass meiner Meinung nach darin nicht das Glück liegt. Wir sind sehr unterschiedlich. Darüber zu sprechen führt zu nichts, und wir versuchen es dann auch zu vermeiden.
Wie bist du mit Noorder Poort in Kontakt gekommen?
Durch meine Tante kam ich zum ersten Mal für eine Arbeitswoche nach Noorder Poort. Meine Tante ist Vietnamesin. Ich traf sie bei einer Freundin in England. Sie lebt seit langem in den Niederlanden, ist mit einem Niederländer verheiratet und arbeitet als Reiseführerin für Touristen. Als ich von dieser Arbeitswoche auf Noorder Poort nach England zurückkam, wusste ich, dass sich in meinem Leben etwas ändern musste. Ich suchte einen Job, führte manchmal Touristen und feierte viel mit Freunden. Irgendwann passierten unerwartete Dinge mit mir. Ich wurde mir plötzlich sehr stark aller Wünsche der Menschen um mich herum und meiner eigenen bewusst. Ich wurde ängstlich, depressiv, geriet in Panik und kam in eine Krise. Dann habe ich mit Jiun Roshi Kontakt aufgenommen und kam nach Noorder Poort. In einem Gespräch nach drei Monaten, am Ende meiner Probezeit als Bewohner, sagte ich ihr, dass ich von all meinen Wünschen loskommen wollte. Ich weiß nicht mehr, was sie geantwortet hat. Ein paar Monate später, während eines Dai-Sesshins, sagte ich Jiun Roshi im Dokusan, dass ich Zen-Mönch werden und mein Leben geben wollte, um Menschen zu helfen. Ich hatte keinen Moment darüber nachgedacht, es passierte einfach. Aber danach habe ich nie wieder daran gezweifelt. Jetzt, wo ich in diesem Interview darüber erzähle, wird es mir aufs Neue wieder sehr klar. Als ich zum Unsui ordiniert wurde, erhielt ich den Namen Daido, was ‚Großer Weg‘ bedeutet.
Was bedeutet Zazen für dich?
Zazen hilft mir und ist eine Notwendigkeit für mich. Im Sitzen kommt das Sein zum Vorschein. Wenn ich sitze, dann ist das die Realität. Zazen kann nicht vom Leben, von der Existenz, vom Sein getrennt werden. Es ist eins, es ist Wahrheit und umfasst alles. Viele Leute denken, dass Zazen Sitzen in Meditation ist, aber das bedeutet, einen Unterschied zu machen, wo es in Wirklichkeit keinen Unterschied gibt. Man kann Zazen nicht beschreiben, man kann sich kein festes Bild davon machen oder es in eine Kategorie einordnen. Es ist nur Leben, wir sind nicht voneinander getrennt, wir sind weder Objekt noch Subjekt.
Daido strahlt. Bei jedem Wort ist spürbar, wie tief er von dem durchdrungen ist, was er über Zazen sagt. Aber es wird auch deutlich, wie schwer es ihm fällt, darüber zu sprechen. Darum, sagt er, sei es auch so schwierig, anderen, Freunden, Familie, zu erklären, was er hier in den Niederlanden auf Noorder Poort macht. „Ich halte es normalerweise sehr allgemein, wenn es um dieses Thema geht, weil es für die meisten Leute einfach schwer zu verstehen ist.“
Du wolltest alle Wünsche loswerden und bist jetzt seit sechs Jahren Unsui, wie ist das jetzt für dich?
Daido fängt herzlich an zu lachen, schweigt und schaut um sich her. Nach nochmaligem Fragen sagt er lächelnd: „Wünsche gehören einfach zum Leben dazu: ich war damals sehr streng in meinem Denken, das ist jetzt anders.“
Wie geht es mit dem Malen, dem Aquarellieren?
Ich male Blumen nach der Realität. Das habe ich mir selbst beigebracht, manchmal bekam ich Hilfe von Mieke Clement. In letzter Zeit habe ich auch manchmal Fotos verwendet, aber dabei fühle ich mich nicht so verbunden. Ich bin nicht zufrieden mit dem, was ich im Moment mache. Ich finde es zu steif. Deshalb male ich nicht so viel, aber wenn ich wieder anfange, werde ich nach der Wirklichkeit arbeiten, ohne Fotos. Es ist für mich wichtig, das zu tun. Viel mehr kann ich darüber nicht sagen.
Denkst du jemals über deine Zukunft nach?
Nein, ich habe keine Ahnung und mache auch keine Pläne. Was in meinem Leben passiert ist, war meistens unerwartet. So hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal in den Niederlanden, auf Noorder Poort, leben würde. Von den Niederlanden hatte ich sogar noch nie gehört. Alles, was ich tun kann, ist, offen und bereit für alles zu sein, was auf mich zukommt, und damit zufrieden zu sein.
Ich finde es wichtig, meine Eltern zu unterstützen und auch einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Und dabei habe ich großes Vertrauen, dass umgekehrt auch für mich gesorgt sein wird. Oft denke ich an einen Ausspruch von Ryokan:
„Go as deep as you can into life and you will be able to let go of even the plumblossoms. “ (“Tauche so tief du kannst ins Leben ein, dann bist du auch fähig, die Pflaumenblüten loszulassen.“)
(Übersetzung aus dem Niederländischen von Marie Louise Linder)
Quelle: In zazen komt het bestaan tevoorschijn, ZenLeven Herbst 2022