Daido wurde 1991 in Vietnam geboren; er ist Unsui und wohnt und trainiert seit Januar 2017 auf Noorder Poort.

Dai­do wur­de 1991 in Viet­nam ge­bo­ren; er ist Un­sui und wohnt und trai­niert seit Ja­nu­ar 2017 auf Noor­der Poort.

Im Zazen kommt das Sein zum Vorschein

Dai­do in­ter­viewt von Trees Voskuilen

Es ist sehr heiß, als Dai­do di­rekt nach Mit­tag durch die Hei­de nach Ha­vel­te ra­del­te. Die fast ein­stün­di­ge Rad­tour fiel ihm nicht schwer, denn Dai­do wuchs in ei­nem tro­pi­schen Kli­ma auf. Dank der Roll­lä­den, die ich schon früh ge­schlos­sen hat­te, ist die Tem­pe­ra­tur in mei­nem Haus an­ge­nehm. Ver­sorgt mit ge­kühl­tem Spru­del­was­ser be­gin­nen wir das In­ter­view für ZenLeven.

Gestern hattest du einen B‑day. Was hast du da gemacht?

B‑day steht für bath and need­les. An die­sem Tag sind die Un­sui frei von Ver­pflich­tun­gen, so dass sie sich um per­sön­li­che An­ge­le­gen­hei­ten küm­mern und ent­span­nen können.
Je­den B‑day fang ich mit Za­zen an, da­bei be­nut­ze ich kein Glöck­chen. Ich sit­ze da mor­gens un­ge­fähr ei­ne Stun­de. An so ei­nem frei­en Tag sky­pe ich mit mei­nen El­tern. Ges­tern ha­be ich mit mei­ner Mut­ter ge­spro­chen. Mei­ne El­tern sind ge­schie­den und der Kon­takt zu mei­nem Va­ter ist im­mer et­was schwie­ri­ger. Zu Mit­tag ko­che ich für mich selbst, und dann ma­le ich oft stun­den­lang Blu­men. Drau­ßen, au­ßer­halb von Noor­der Po­ort, schaue ich mir haupt­säch­lich Blu­men und Men­schen an, und dann scheint es manch­mal so, als ob Blu­men mich lei­ten. Ges­tern bin ich nach Fre­de­rik­so­ord und Vled­der ge­ra­delt, wo ich mir im Su­per­markt et­was Asia­ti­sches zum Es­sen ge­kauft ha­be. Ei­nen B‑day be­en­de ich im­mer mit Za­zen im Zendo.

Willst du etwas über dein Leben erzählen?

Ich bin in Ha­noi, ei­ner gro­ßen Stadt im Nor­den Viet­nams, ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen. Da ging ich zur Schu­le. Ich mag die En­er­gie von Ha­noi, es ist sehr ge­schäf­tig und le­ben­dig. Die Stadt vi­briert. Die Son­ne scheint fast im­mer und es gibt kaum Un­ter­schie­de zwi­schen drin­nen und drau­ßen. Wenn die Nach­barn mit­ein­an­der strei­ten oder Mu­sik ein­schal­ten, hört man das. Vor vier Jah­ren, vor der Co­ro­na-Pan­de­mie, war ich un­ge­fähr ein hal­bes Jahr wie­der in Ha­noi. Als ich dort me­di­tier­te, be­merk­te ich wirk­lich, wie groß der Un­ter­schied zwi­schen Ha­noi und Noor­der Po­ort ist. In Ha­noi hö­ren Ge­räu­sche und Lärm nie auf; Kin­der schrei­en, Men­schen re­den, sie la­chen, ru­fen ein­an­der zu oder ma­chen Mu­sik, sie trom­meln. Auf Noor­der Po­ort ist es so an­ders, so ru­hig und still. „Der Viet­na­me­se“ ist von sei­ner Art her sehr ru­hig, freund­lich und be­dacht­sam; es ist wich­tig, Men­schen nicht zu ver­let­zen und nach­zu­den­ken, be­vor du sprichst. Der Bud­dhis­mus ist die Haupt­re­li­gi­on in Viet­nam, und er sitzt so tief, dass wir uns man­cher Din­ge nicht ein­mal mehr be­wusst sind. Viet­nam als Land ist mit dem Bud­dhis­mus ver­bun­den, aber ich bin selbst nicht bud­dhis­tisch er­zo­gen. Auf For­mu­la­ren mit ei­nem Feld für Re­li­gi­on schrei­be ich im­mer „oh­ne Re­li­gi­on“, ge­nau wie mei­ne El­tern. Ei­gent­lich wuss­te ich fast nichts über den Bud­dhis­mus. Ich bin wohl ein­mal in ei­nem Tem­pel ge­we­sen, in dem Men­schen um Glück be­ten, und wo der Bud­dha als ei­ne hö­he­re En­ti­tät an­ge­se­hen wird, aber all das be­rühr­te mich nicht.

Hanoi. Busy street corner in old town Hanoi, Vietnam. Lots of people are commuting on motorbikes or cars. The street is lined by stores and appartment buildings.

Ha­noi

Du gingst nach Europa

Ja, ich woll­te gern nach Eng­land. Als ich zwan­zig war, stu­dier­te ich Wirt­schaft an der Uni­ver­si­tät von Car­diff. Dort ha­be ich mei­nen MBA, Mas­ter of Busi­ness Ad­mi­nis­tra­ti­on, ge­macht. Al­les, was mit Zah­len zu tun hat, fand schon im­mer mein gro­ßes In­ter­es­se. Mei­ne El­tern ha­ben mich im­mer un­ter­stützt. Mei­ne Mut­ter ist et­was auf­ge­schlos­se­ner als mein Va­ter. Sie macht sich nicht so vie­le Sor­gen um mich und denkt, das Wich­tigs­te ist, dass ich glück­lich bin. Mein Va­ter ist dar­in an­ders. Er ist Ge­schäfts­mann und möch­te auch, dass ich ein gu­tes und glück­li­ches Le­ben ha­be, aber er denkt, dass Glück in Geld, Be­sitz und Pres­ti­ge liegt. Bis­her konn­te ich ihm nicht klar ma­chen, dass mei­ner Mei­nung nach dar­in nicht das Glück liegt. Wir sind sehr un­ter­schied­lich. Dar­über zu spre­chen führt zu nichts, und wir ver­su­chen es dann auch zu vermeiden.

Wie bist du mit Noorder Poort in Kontakt gekommen?

Durch mei­ne Tan­te kam ich zum ers­ten Mal für ei­ne Ar­beits­wo­che nach Noor­der Po­ort. Mei­ne Tan­te ist Viet­na­me­sin. Ich traf sie bei ei­ner Freun­din in Eng­land. Sie lebt seit lan­gem in den Nie­der­lan­den, ist mit ei­nem Nie­der­län­der ver­hei­ra­tet und ar­bei­tet als Rei­se­füh­re­rin für Tou­ris­ten. Als ich von die­ser Ar­beits­wo­che auf Noor­der Po­ort nach Eng­land zu­rück­kam, wuss­te ich, dass sich in mei­nem Le­ben et­was än­dern muss­te. Ich such­te ei­nen Job, führ­te manch­mal Tou­ris­ten und fei­er­te viel mit Freun­den. Ir­gend­wann pas­sier­ten un­er­war­te­te Din­ge mit mir. Ich wur­de mir plötz­lich sehr stark al­ler Wün­sche der Men­schen um mich her­um und mei­ner ei­ge­nen be­wusst. Ich wur­de ängst­lich, de­pres­siv, ge­riet in Pa­nik und kam in ei­ne Kri­se. Dann ha­be ich mit Ji­un Ro­shi Kon­takt auf­ge­nom­men und kam nach Noor­der Po­ort. In ei­nem Ge­spräch nach drei Mo­na­ten, am En­de mei­ner Pro­be­zeit als Be­woh­ner, sag­te ich ihr, dass ich von all mei­nen Wün­schen los­kom­men woll­te. Ich weiß nicht mehr, was sie ge­ant­wor­tet hat. Ein paar Mo­na­te spä­ter, wäh­rend ei­nes Dai-Sess­hins, sag­te ich Ji­un Ro­shi im Do­ku­san, dass ich Zen-Mönch wer­den und mein Le­ben ge­ben woll­te, um Men­schen zu hel­fen. Ich hat­te kei­nen Mo­ment dar­über nach­ge­dacht, es pas­sier­te ein­fach. Aber da­nach ha­be ich nie wie­der dar­an ge­zwei­felt. Jetzt, wo ich in die­sem In­ter­view dar­über er­zäh­le, wird es mir aufs Neue wie­der sehr klar. Als ich zum Un­sui or­di­niert wur­de, er­hielt ich den Na­men Dai­do, was ‚Gro­ßer Weg‘ bedeutet.

Was bedeutet Zazen für dich?

Za­zen hilft mir und ist ei­ne Not­wen­dig­keit für mich. Im Sit­zen kommt das Sein zum Vor­schein. Wenn ich sit­ze, dann ist das die Rea­li­tät. Za­zen kann nicht vom Le­ben, von der Exis­tenz, vom Sein ge­trennt wer­den. Es ist eins, es ist Wahr­heit und um­fasst al­les. Vie­le Leu­te den­ken, dass Za­zen Sit­zen in Me­di­ta­ti­on ist, aber das be­deu­tet, ei­nen Un­ter­schied zu ma­chen, wo es in Wirk­lich­keit kei­nen Un­ter­schied gibt. Man kann Za­zen nicht be­schrei­ben, man kann sich kein fes­tes Bild da­von ma­chen oder es in ei­ne Ka­te­go­rie ein­ord­nen. Es ist nur Le­ben, wir sind nicht von­ein­an­der ge­trennt, wir sind we­der Ob­jekt noch Subjekt.
Dai­do strahlt. Bei je­dem Wort ist spür­bar, wie tief er von dem durch­drun­gen ist, was er über Za­zen sagt. Aber es wird auch deut­lich, wie schwer es ihm fällt, dar­über zu spre­chen. Dar­um, sagt er, sei es auch so schwie­rig, an­de­ren, Freun­den, Fa­mi­lie, zu er­klä­ren, was er hier in den Nie­der­lan­den auf Noor­der Po­ort macht. „Ich hal­te es nor­ma­ler­wei­se sehr all­ge­mein, wenn es um die­ses The­ma geht, weil es für die meis­ten Leu­te ein­fach schwer zu ver­ste­hen ist.“

Du wolltest alle Wünsche loswerden und bist jetzt seit sechs Jahren Unsui, wie ist das jetzt für dich?

Dai­do fängt herz­lich an zu la­chen, schweigt und schaut um sich her. Nach noch­ma­li­gem Fra­gen sagt er lä­chelnd: „Wün­sche ge­hö­ren ein­fach zum Le­ben da­zu: ich war da­mals sehr streng in mei­nem Den­ken, das ist jetzt anders.“

Aquarell und Tuschezeichnung von Daido

Aqua­rell und Tu­sche­zeich­nung von Daido

Wie geht es mit dem Malen, dem Aquarellieren?

Ich ma­le Blu­men nach der Rea­li­tät. Das ha­be ich mir selbst bei­gebracht, manch­mal be­kam ich Hil­fe von Mie­ke Cle­ment. In letz­ter Zeit ha­be ich auch manch­mal Fo­tos ver­wen­det, aber da­bei füh­le ich mich nicht so ver­bun­den. Ich bin nicht zu­frie­den mit dem, was ich im Mo­ment ma­che. Ich fin­de es zu steif. Des­halb ma­le ich nicht so viel, aber wenn ich wie­der an­fan­ge, wer­de ich nach der Wirk­lich­keit ar­bei­ten, oh­ne Fo­tos. Es ist für mich wich­tig, das zu tun. Viel mehr kann ich dar­über nicht sagen.

Denkst du jemals über deine Zukunft nach?

Nein, ich ha­be kei­ne Ah­nung und ma­che auch kei­ne Plä­ne. Was in mei­nem Le­ben pas­siert ist, war meis­tens un­er­war­tet. So hät­te ich mir nie vor­stel­len kön­nen, dass ich ein­mal in den Nie­der­lan­den, auf Noor­der Po­ort, le­ben wür­de. Von den Nie­der­lan­den hat­te ich so­gar noch nie ge­hört. Al­les, was ich tun kann, ist, of­fen und be­reit für al­les zu sein, was auf mich zu­kommt, und da­mit zu­frie­den zu sein.
Ich fin­de es wich­tig, mei­ne El­tern zu un­ter­stüt­zen und auch ei­nen Bei­trag zur Ge­sell­schaft zu leis­ten. Und da­bei ha­be ich gro­ßes Ver­trau­en, dass um­ge­kehrt auch für mich ge­sorgt sein wird. Oft den­ke ich an ei­nen Aus­spruch von Ryokan:
„Go as deep as you can in­to life and you will be ab­le to let go of even the plumblos­soms. “ (“Tau­che so tief du kannst ins Le­ben ein, dann bist du auch fä­hig, die Pflau­men­blü­ten loszulassen.“)

(Über­set­zung aus dem Nie­der­län­di­schen von Ma­rie Loui­se Linder)

Quel­le: In za­zen komt het be­s­ta­an te­vo­or­schi­jn, Zen­Le­ven Herbst 2022