Perfekt

Von Li­li­an Dais­hin van der Vaart (zu­vor in ih­rem Blog Elef­te­ria veröffentlicht)

Letz­te Wo­che war ich in Dren­the, bei ei­nem Retre­at auf Noor­der Po­ort. Es war ein Ko­ko­ro, ei­ne Art von Retre­at mit Ab­wechs­lung zwi­schen stil­lem Sit­zen und Zen-in-Ak­­ti­on: ar­bei­ten, stu­die­ren, lau­fen, zeich­nen, schrei­ben – was auch im­mer. Das gibt dir die Mög­lich­keit, dich dar­in zu üben, ei­nen me­di­ta­ti­ven Geist auf­recht­zu­er­hal­ten, auch wenn du ak­tiv be­schäf­tigt bist. Es war ei­ne schö­ne Übung für das nor­ma­le, täg­li­che Le­ben. Oft er­weist es sich als schwie­rig, den me­di­ta­ti­ven Geist zu be­wah­ren, weil man sich schnell wie­der vom Ge­trie­be des All­tags mit­rei­ßen lässt. Wir ver­ges­sen oft, dass wir im­mer wie­der zum me­di­ta­ti­ven Geist zu­rück­keh­ren kön­nen. Für mich ist das ste­ti­ge Zu­rück­keh­ren zu dem, wor­um es geht, mehr noch, als wenn ich mich kon­ti­nu­ier­lich in ei­nem me­di­ta­ti­ven Zu­stand befinde.

Ich hat­te Ar­beit im Gar­ten be­kom­men, et­was, das ich sehr gern ma­che. Das Wet­ter war nicht im­mer toll, aber zwi­schen den Nie­sel­re­gen konn­te es auf ein­mal strah­lend schön sein. Es war auch frisch und der Wind war meist stark. Beim Pflan­zen der Zwie­beln, ei­ne Ar­beit, die mir auf­ge­tra­gen war, stand ich voll im Wind. Ich spür­te noch ein­mal, wie sehr ich das als „Mäd­chen von der nord­hol­län­di­schen Küs­te“ ge­nie­ßen kann. Im Wind zu ste­hen, kann mir ein Ge­fühl von Kraft ge­ben. So­lan­ge ich da nicht ge­gen an ra­deln muss.

Weil ich noch et­was mehr im Gar­ten ar­bei­ten woll­te, frag­te ich „Gar­ten­chef“ Ajit nach zu­sätz­li­chen Auf­ga­ben. Ich schlug selbst vor, die Gar­ten­we­ge zu jä­ten, denn da gibt es im­mer zu tun. Aber nein, er hat­te et­was an­de­res in pet­to: Blät­ter fe­gen. Es ist ei­ne wert­vol­le Zen-Übung, sich nicht zu sehr in sei­nen Vor­lie­ben und Ab­nei­gun­gen oder sei­ner Mei­nung zu ver­stri­cken. Und bei die­sem Gar­ten­chef hat­te ich schon fest­ge­stellt, dass er, wie es sich ge­hört, sehr schlag­fer­tig re­agie­ren konnte.

Ich er­fuhr die to­ta­le Sinn­lo­sig­keit ei­ner Re­ak­ti­on wie: Was bringt es, bei so star­kem Wind Laub zu fe­gen? Es er­in­ner­te mich an die Zeit, als ich selbst wäh­rend Wo­chen­end-Re­tre­ats Men­schen im Stock­dun­keln hab Un­kraut jä­ten las­sen. Und an mei­nen Blog­bei­trag über das Keh­ren von Blät­tern. An je­nem Tag war es recht wind­still, aber an dem Tag, als der Bei­trag er­schien, weh­te es hef­tig, be­son­ders an der Küs­te. Dort wohnt mei­ne Schwes­ter; und als sie die Ge­schich­te las, hat­te sie gro­ßen Spaß, denn sie sah mich schon bei Wind­stär­ke 8 Blät­ter fe­gen, die wie ein Tor­na­do um mich her­um­wir­bel­ten. Nun ja, es war kei­ne Wind­stär­ke 8, aber der Wind war stark ge­nug, um al­les, was ich zu­sam­men­ge­fegt hat­te, wie­der weg­zu­bla­sen. An der Lee­sei­te des Hau­ses, die Ajit mir zu­ge­wie­sen hat­te, ging es ei­ni­ger­ma­ßen. Ich fand ei­ne Mög­lich­keit, doch ei­ni­ges Laub an­zu­häu­fen, oh­ne dass es di­rekt wie­der durch den Gar­ten flog. Das Fe­gen wur­de ein Spiel zwi­schen mir und dem Wind, wor­aus ich mir ei­nen Jux mach­te, ge­nau­so aus dem Ge­dan­ken dar­an, was die an­de­ren wohl den­ken mö­gen, wenn sie mich so be­schäf­tigt da­mit se­hen. Ich frag­te mich, ob Ajit auch so ei­nen Spaß an die­sem Auf­trag hat­te und an der Tat­sa­che, dass ich ihn brav erledigte.

Ein The­ma der täg­li­chen An­spra­chen von Zen-Meis­­te­rin Ji­un Ro­shi war un­ter an­de­ren Per­fek­tio­nis­mus. Es ging dar­um, wie vie­le Men­schen doch da­mit be­schäf­tigt zu sein schei­nen, die Din­ge ge­nau rich­tig zu ma­chen. Nicht nur gut, nein: per­fekt. Es ging dar­um, dass es mit dem Per­fek­tio­nis­mus an­schei­nend im­mer schlim­mer wird. Ich fra­ge mich manch­mal, ob die Zen-Übung ge­ra­de­zu Per­fek­tio­nis­ten an­zieht. Ich ken­ne den Per­fek­tio­nis­mus auch an mir selbst; und da geht es nicht nur dar­um, ob ich in den Au­gen an­de­rer et­was rich­tig oder falsch ma­che, son­dern ge­ra­de auch in mei­nen ei­ge­nen Au­gen. Dank mei­ner Zen-Pra­xis bin ich im Lau­fe der Jah­re mil­der ge­wor­den: es geht we­ni­ger dar­um, es im­mer recht zu ma­chen, wie Ji­un Ro­shi es aus­drück­te. Es gibt we­ni­ger Ur­tei­le dar­über, was al­les gut oder falsch ist und be­lohnt oder be­straft wer­den soll­te. Aber der Keim sitzt da noch, und es ist leicht, ihn wie­der zu näh­ren, wenn ich nicht aufpasse.

Beim Har­ken des Pflas­ter­strei­fens ent­lang des Zen­dos war es nicht nur der Wind, der mei­ne Laub-fe­­ge-Zen-Ak­­ti­on zu sa­bo­tie­ren ver­such­te. Auch die Stei­ne ta­ten ihr Üb­ri­ges. Es er­wies sich als schwie­rig, klei­ne­re Blät­ter aus den Fu­gen zu ent­fer­nen. Die Wor­te Ji­un Ro­shis gin­gen mir durch den Kopf. Was für ei­ne per­fek­te Übung hat­te mir der Gar­ten­chef an die­sem Tag ge­ge­ben. Die ul­ti­ma­ti­ve Übung in „Nicht-Per­­fek­­tio­­nis­­mus“. Tu, was du tun kannst. Wann ist es gut?

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­rie Loui­se Linder)

Quel­le: Per­fect, Zen­Le­ven Früh­jahr 2021