In ei­nem In­ter­view mit Ji­un Ro­shi blickt Th­rees Vo­s­kui­len auf das 25-jäh­ri­­ge Be­stehen von Noor­der Po­ort zu­rück. Die­ses Ju­bi­lä­um wird ein gan­zes Jahr lang mit al­ler­lei Ak­ti­vi­tä­ten ge­fei­ert. Das Fest be­gann am 16. Ok­to­ber (2021) und dau­ert bis Ok­to­ber 2022. Vie­le Men­schen ken­nen Noor­der Po­ort in­zwi­schen aus ei­ge­ner, di­rek­ter Erfahrung.

Eröffnung 1996 – Prabhasa Dharma Zenji, Thich Man Giac und Jiun Roshi

Er­öff­nung 1996 – Prab­ha­sa Dhar­ma Zen­ji, Thich Man Giac und Ji­un Roshi

Noorder Poort besteht seit 25 Jahren

Es wird gefeiert

Das Haupt­ge­bäu­de von Noor­der Po­ort am Bu­ten­weg liegt hin­ter ei­nem Wäld­chen. Zwi­schen den Stäm­men der al­ten Ei­chen glänzt leicht das neue, graue Zie­gel­dach im Licht. Die Aus­strah­lung des Bau­ern­hau­ses hat sich deut­lich ver­stärkt, als vor zwei Jah­ren das Reet­dach er­setzt wur­de. Der Land­schafts­gar­ten bil­det ei­ne fast voll­kom­me­ne Ein­heit mit der Viel­zahl von Hekt­ar Wei­de und Torf­sumpf um die Wap­ser­vee­ner Aa her­um. Die be­to­nier­ten Pfa­de, auf de­nen Kin­hin ge­übt wird, har­mo­nie­ren wun­der­bar mit die­sem Wie­sen­ge­län­de und sei­nen Tüm­peln. Der­zeit woh­nen hier fünf Un­su­is; sie sind in der Aus­bil­dung bei der Zen-Meis­­te­rin Ji­un Ro­shi, und die Sess­hins sind ausgebucht.

Noor­der Po­ort ist das Zen­trum der Sang­ha des In­ter­na­tio­nal Zen In­sti­tu­te, des IZI. Möch­test du et­was dar­über erzählen?

Noor­der Po­ort ist das ei­gent­li­che Herz der Sang­ha, aber das In­ter­na­tio­nal Zen In­sti­tu­te wur­de in Ame­ri­ka ge­grün­det. Gess­hin Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi war die Ma­tri­ar­chin in der 45. Ge­ne­ra­ti­on der viet­na­me­si­schen Rin­­zai-Li­­nie. Zwi­schen 1985 und 1997 bot sie oft sie­ben­wö­chi­ge Retre­ats in der Mo­­ja-Wüs­­te, Süd­ka­li­for­ni­en, an. Sehr vie­le Men­schen ka­men dort­hin. Prab­ha­sa bot auch häu­fig Sess­hins in Eu­ro­pa an. Sie reis­te von Land zu Land, und vie­le Stu­die­ren­de fin­gen an, mit ihr zu rei­sen. So ver­grö­ßer­te sich die Sang­ha, es ent­stan­den Ver­bin­dun­gen zwi­schen Ame­ri­ka, Deutsch­land, Spa­ni­en und den Niederlanden.
1989 ha­be ich das Dhar­­ma-Haus in Mi­ami ge­grün­det; nach mei­ner Über­sied­lung nach Eu­ro­pa 1993 wur­de es von So­an Po­or ge­lei­tet. Ich rei­se im­mer noch ein­mal im Jahr nach Mi­ami, um dort Sess­hins zu lei­ten. Über Ra­mon Her­nan­dez führ­te die Li­nie der Sang­ha nach Spa­ni­en. Tetsue Ro­shi, die ich 2016 zur Zen-Meis­­te­rin er­nannt ha­be, un­ter­rich­tet in Spa­ni­en und be­glei­tet die Men­schen dort.
Ten­jo leb­te sechs Jah­re lang als Un­sui auf Noor­der Po­ort und lei­tet jetzt seit fünf Jah­ren schon ein Dhar­­ma-Haus im Zen­trum von Lee­u­war­den. In Deutsch­land, in Eus­kir­chen, hat Ji­gen im letz­ten Jahr ein neu­es Dhar­­ma-Haus er­öff­net. In der vo­ri­gen Aus­ga­be von Zen­Le­ven be­fin­det sich ein schö­nes In­ter­view mit ihr.
Noor­der Po­ort ist für vie­le nicht so weit ent­fernt, denn die Pro­vinz Dren­the grenzt an Deutsch­land. Es sind fast im­mer auch Men­schen aus Deutsch­land bei uns. Wäh­rend der Sess­hins auf Noor­der Po­ort wird dann auch Nie­der­län­disch und Deutsch gesprochen.

Was war der An­lass für den Wunsch, ein ei­ge­nes Zen­trum zu gründen?

Prab­ha­sa Dhar­ma war Deut­sche von Ge­burt und leb­te in Ame­ri­ka. Als sie für Sess­hins und Leh­re nach Eu­ro­pa kam, wur­den wir meis­tens in ka­tho­li­schen Klös­tern auf­ge­nom­men. Wir muss­ten im­mer al­les mit­neh­men und ein­rich­ten, um die Räu­me für die Sess­hins an­ge­mes­sen aus­zu­stat­ten. Da gab es im­mer sehr viel zu tra­gen. Das Ein­rich­ten vor Ort er­for­der­te zu­dem oft Takt­ge­fühl. Auf dem Til­ten­berg, der da­mals noch der Or­dens­ge­mein­schaft der Grals­frau­en ge­hör­te, durf­ten wir z.B. we­gen dem Tep­pich kei­nen Tee im Zen­do trin­ken. Man konn­te we­der ein paar Ta­ge frü­her kom­men noch län­ger blei­ben, denn es war ja nun ein­mal nicht un­ser Haus. Dar­über hin­aus kam das Geld, das an an­de­re Zen­tren ging, nicht ei­nem ei­ge­nen Haus zu­gu­te. Der Wunsch, ein ei­ge­nes Zen­trum zu ha­ben, wur­de bei Prab­ha­sa Dhar­ma und der Sang­ha im­mer stärker.

Jiun Roshi 2000 und 2021

Ji­un Ro­shi 2000 und 2021

Kannst du et­was dar­über er­zäh­len, wie es auf Noor­der Po­ort anfing? 

1993 bin ich von Mi­ami nach Deutsch­land ge­gan­gen, weil wir das Zen­trum dort auf­bau­en woll­ten. Das ers­te Pro­jekt schei­ter­te. Da­nach gab es noch ein wei­te­res, aber auch das blieb oh­ne Er­folg. Zu der Zeit war ich oft in Em­men bei mei­ner Schwes­ter, die sehr krank war. Nach ih­rem Tod nahm ich Kon­takt mit ei­nem Mak­ler auf, der mich auf Noor­der Po­ort auf­merk­sam mach­te. Wir konn­ten Noor­der Po­ort mit ei­nem hal­ben Hekt­ar Land für 1,2 Mil­lio­nen Gul­den kau­fen. Der gro­ße Vor­teil im Ver­gleich zu an­de­ren Pro­jek­ten war, dass wir hier di­rekt an­fan­gen konn­ten, denn al­les war be­nutz­bar und in gu­tem Zu­stand. Ge­mein­sam mit Mo­da­na und San­g­ha-Mit­­glie­­dern ha­be ich von Mo­da­nas Haus in Ams­ter­dam aus mit der Schaf­fung von Grund­la­gen für Noor­der Po­ort be­gon­nen. Wir er­forsch­ten ge­nau die Um­ge­bung und stell­ten ei­nen Ge­schäfts­plan auf, auch mit den ju­ris­­tisch-steu­er­­li­chen Aspek­ten. Auf die­ser Ba­sis ist uns die Fi­nan­zie­rung ge­lun­gen, zur Hälf­te mit Spen­den aus der Sang­ha, den Rest mit ei­ner Hypothek.

Das al­ler­ers­te Sesshin 

Im Som­mer 1996 mach­ten wir ein „Pro­­be-Ses­s­hin“ mit der Ro­shi. Zu dem Zeit­punkt hat­ten wir ei­nen vor­läu­fi­gen Kauf­ver­trag, wa­ren aber noch nicht die Ei­gen­tü­mer. Die­ses al­ler­ers­te Sess­hin mit der Ro­shi wer­de ich nie­mals ver­ges­sen. Wo jetzt der Tee-Raum ist, war da­mals ei­ne Bar mit Zapf­hahn. Wo nun das Zen­do ist, hing noch ein gro­ßer Fern­se­her an der Wand und ir­gend­wo stand ein Bil­lard­tisch. Am zwei­ten Tag des Sess­hins ka­men auf ein­mal un­un­ter­bro­chen Dü­sen­jä­ger, die in ei­ner Mi­li­tär­ba­sis in Lee­u­war­den star­tend Übungs­flü­ge ver­an­stal­te­ten. Ich war ent­setzt und fand den al­les über­tö­nen­den Lärm fürch­ter­lich. Wäh­rend der gründ­li­chen Er­kun­dung der Um­ge­bung hat­ten wir sol­chen Krach nicht er­lebt. Die Ro­shi muss­te mich re­gel­recht trös­ten. Am En­de war es bes­ser als er­war­tet. Die Dü­sen­jä­ger­flü­ge wur­den zu­nächst ein­ge­schränkt und schließ­lich fast gänz­lich ge­stoppt. Am 12. Sep­tem­ber 1996 wur­den wir Ei­gen­tü­mer, und vier Wo­chen spä­ter, am 12. Ok­to­ber war die Eröffnung.

Eröffnung 1996

Er­öff­nung 1996

Wie fand es Prabhasa? 

Die Ro­shi fand es wun­der­bar und sag­te, so­bald sie es sah: „Das ist es.“ Ihr ge­fiel be­son­ders die Of­fen­heit der Land­schaft, das Ge­bäu­de selbst und dass al­le Zim­mer ei­ne ei­ge­ne Du­sche und Toi­let­te be­sa­ßen. Aber vor al­lem die Of­fen­heit fand sie wich­tig. Die Or­te, an de­nen wir vor­her wa­ren, la­gen oft mit­ten im Wald. Sie sag­te: „Dies hier ist viel bes­ser für den Geist, denn,“ so sag­te sie, „die Nie­der­lan­de sind ein so klei­nes Land, und ihr habt al­le so ei­nen klei­nen Geist, dar­um ist es gut, wenn er of­fen ist.“

Als Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi starb, än­der­ten sich vie­le Din­ge auf ein­mal. Wie war das?

Die Ro­shi starb am 24. Mai 1999. Kurz da­vor, am 5. Mai, er­nann­te sie mich zur Zen-Meis­­te­rin und Nach­fol­ge­rin. Am An­fang war es nicht leicht, al­le muss­ten sich an die neue Si­tua­ti­on ge­wöh­nen. Es war ei­ne span­nen­de Fra­ge, ob die Leu­te wei­ter­hin kom­men wür­den, denn ob­wohl ich jah­re­lang Ro­shis As­sis­ten­tin ge­we­sen und fast im­mer bei ihr war, ka­men die Leu­te ih­ret­we­gen. Be­vor sie starb, er­nann­te sie ne­ben den be­reits vor­han­de­nen Leh­re­rin­nen und Leh­rern ei­ne Rei­he neu­er. Ich muss­te mich erst dar­an ge­wöh­nen; Ro­shi war in mei­nem Geist, aber ich brauch­te fünf bis zehn Jah­re, um mei­nen ei­ge­nen Stil zu fin­den, und die neu er­nann­ten Leh­rer und Leh­re­rin­nen muss­ten sich an die neue Zen-Meis­­te­rin ge­wöh­nen. Es war ei­ne auf­re­gen­de Zeit.

Bewohnerinnen und Bewohner um 2000; von links: Modana, Kishin, Shin-Yõ, Iretsu, Jiun Roshi, Doshin, Pavana, Nitiman, Anshin Tenjo

Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner um 2000; von links: Mo­da­na, Ki­shin, Shin-Yõ, Ire­tsu, Ji­un Ro­shi, Do­shin, Pa­va­na, Ni­ti­man, Ans­hin Tenjo

Wenn du auf die­se fünf­und­zwan­zig Jah­re zu­rück­blickst, was fällt dir da als ers­tes ein?

Es hat sich vie­les ver­än­dert. Wir ha­ben ei­ne Men­ge er­lebt mit den Men­schen, die hier wa­ren, und wir er­le­ben viel mit den Men­schen, die jetzt hier sind. Auf der Grund­la­ge all die­ser Er­fah­run­gen wur­den gro­ße Ver­än­de­run­gen im Zen-Aus­­­bil­­dungs­­­pro­­gramm vor­ge­nom­men. Auch die Or­ga­ni­sa­ti­on von Noor­der Po­ort hat sich stark wei­ter­ent­wi­ckelt. Die Ro­shi hielt es für sehr wich­tig, dass es de­mo­kra­tisch zu­geht. In den ers­ten Jah­ren wur­de buch­stäb­lich al­les mit al­len Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­nern be­spro­chen. Dann gin­gen ein paar Wo­chen ins Land, und da­nach wur­de be­schlos­sen, es doch so zu ma­chen. Das führ­te zu Res­sen­ti­ments und funk­tio­nier­te auf Dau­er nicht gut.
Mo­da­na schlug dann das so­zio­kra­ti­sche Or­ga­ni­sa­ti­ons­mo­dell [1] vor, und führ­te es dann zu­sam­men mit Phil­ip Se­lig­mann auch ein. Dies war ein be­deut­sa­mer Wen­de­punkt, und es funk­tio­niert auch heu­te noch sehr gut. Da­mals wur­de ei­ne Tren­nung zwi­schen dem spi­ri­tu­el­len Teil und dem ge­schäft­li­chen Teil der Or­ga­ni­sa­ti­on vor­ge­nom­men. Als Zen-Meis­­te­rin bin ich für den spi­ri­tu­el­len Be­reich ver­ant­wort­lich. Die Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­ti­on ar­bei­tet in Stra­te­gie­krei­sen, wo­bei der Vor­stand den obers­ten Kreis bil­det und die letz­te Ver­ant­wor­tung trägt. Die so­zio­kra­ti­sche Sit­zungs­me­tho­de er­mög­licht es je­dem, sich im Vor­aus an al­len Über­le­gun­gen zu be­tei­li­gen, die zu ei­ner Ent­schei­dung füh­ren. Das schafft En­ga­ge­ment, Ver­bin­dung, An­er­ken­nung, Frie­den und Klarheit.

Was hat sich in den letz­ten Jah­ren im Zen-Pro­­gramm geändert?

Es ist ei­ne Ent­wick­lung vom klas­si­schen, stren­gen Mönch­tum hin zu Pro­gram­men mit mehr Ab­stu­fun­gen. Die Pro­gram­me sind viel­fäl­ti­ger und of­fe­ner ge­wor­den. Ne­ben dem tra­di­tio­nel­len Dai-Ses­s­hin und Go-Ses­s­hin gibt es jetzt auch das Ko­ko­ro, ein leich­te­res Pro­gramm. Im Dai­­ly-Life-Ses­s­hin wer­den Ar­beit und Me­di­ta­ti­on mit­ein­an­der kom­bi­niert. In den Zen-Thuis­­t­ra­­jec­­ten wer­den Men­schen ein oder zwei Jah­re lang in­ten­siv in ih­rer häus­li­chen Um­ge­bung be­glei­tet, manch­mal in Kom­bi­na­ti­on mit Pro­gram­men auf Noor­der Po­ort. Das In­ter­es­se dar­an ist so groß, dass wir mit War­te­lis­ten ar­bei­ten müs­sen. 2012 ha­be ich be­gon­nen, Men­schen nach Sprach­grup­pen zu Zen-Lehrer:innen auszubilden.

Ordination von Iretsu 1999

Or­di­na­ti­on von Ire­tsu 1999

 und von Agetsu 2020

und von Agetsu 2020

Die Un­­sui-Aus­­­bil­­dung ist ein ganz be­son­de­rer Teil des Zen-Pro­­gramms. Die Un­su­is le­ben hier für lan­ge Zeit, manch­mal jah­re­lang. Das täg­li­che, in­ten­si­ve Me­di­ta­ti­ons­pro­gramm für die Un­su­is wird mit Ar­beit und Stu­di­um kom­bi­niert. Am An­fang war die­ses Pro­gramm viel schwe­rer als heu­te. Die Un­sui spie­len in je­der Hin­sicht ei­ne wich­ti­ge Rol­le für die Men­schen, die zu uns kom­men. Sie emp­fan­gen die Men­schen und sind im­mer prä­sent. Dank ih­nen füh­len sich vie­le Gäs­te oft wie ei­ne Fa­mi­lie, so als kä­men sie nach Hau­se. Aber ei­ne Un­­sui-Aus­­­bil­­dung wie in den ers­ten Jah­ren ist heu­te nicht mehr mög­lich, es sind ei­ni­ge aus­ge­stie­gen. Da ich selbst in ei­ner sehr stren­gen, ri­gi­den At­mo­sphä­re aus­ge­bil­det wur­de, ha­be ich mich lan­ge Zeit ge­fragt, ob die­se Stren­ge in der Zen-Aus­­­bil­­dung wirk­lich not­wen­dig ist. Ich merk­te im­mer mehr, dass Stren­ge mit Dis­zi­plin ver­wech­selt wur­de. Es funk­tio­nier­te nicht mehr für die Men­schen und auch nicht für mich. Ich bin im Lau­fe der Jah­re viel we­ni­ger streng geworden.

Was ist der Grund da­für, dass die sehr strik­te, stren­ge Art, Din­ge zu tun, nicht mehr funktioniert?

Ja, wor­an liegt das? Ich se­he es auch bei den Sess­hins. Viel­leicht ist es ei­ne Fol­ge des Lu­xus, in dem wir le­ben. Wir ha­ben, so scheint es, we­ni­ger Übung, sind we­ni­ger ab­ge­här­tet, um Din­ge zu tun, die schwie­rig sind. Es herrscht eher die Ein­stel­lung: Wenn es mir nicht ge­fällt, ma­che ich es nicht. Die Men­schen sind es ge­wohnt, ih­ren ei­ge­nen Weg zu ge­hen, und wi­der­set­zen sich eher den Re­geln. Sich der Grup­pe an­zu­schlie­ßen ist ein wich­ti­ger Aspekt der Zen-Pra­xis, denn es hilft, sich tief im In­nern be­wusst zu ma­chen, dass man kein ei­gen­stän­di­ges In­di­vi­du­um ist. In ei­nem sie­ben­tä­gi­gen Sess­hin kann man nach drei oder vier Ta­gen se­hen, dass die Grup­pe be­ginnt, ein Kör­per, ein Geist zu wer­den. Die meis­ten Teil­neh­men­den se­hen das genauso.

Wie wür­dest du die Kul­tur und die Wer­te von Noor­der Po­ort charakterisieren?

Wenn man die Ro­shi fragt, was das Wich­tigs­te im Zen ist, sagt sie: “Har­mo­nie”. Das ist der Leit­ge­dan­ke: Wir wol­len ein Zen­trum sein, in dem sich je­der zu Hau­se füh­len kann. Im Bud­dhis­mus spricht man vom mitt­le­ren Weg, ei­nem Le­ben in Har­mo­nie mit der Um­welt. Der Gar­ten zum Bei­spiel ist ein hol­län­di­scher Gar­ten. Mit Ele­men­ten aus der ja­pa­ni­schen Zen-Kul­­tur, aber wir wer­den kei­nen Zen-Gar­­ten an­le­gen oder Ge­bäu­de er­rich­ten, die ja­pa­nisch aus­se­hen. Gu­te Kon­tak­te mit dem Dorf, mit der Um­welt sind wich­tig. Die Din­ge, die wir ge­stal­ten, soll­ten nicht ex­trem sein; was wir her­stel­len, soll­te nicht sehr teu­er sein, aber auch nicht sehr bil­lig oder von schlech­ter Qualität.

Und Wer­te, wie geht ihr mit­ein­an­der um?

Das ers­te, was mir in den Sinn kommt, ist Re­spekt, nicht nur für die Men­schen, son­dern auch für die Ge­bäu­de, das Land und die Um­welt. Über Re­spekt wird hier fast nie aus­drück­lich ge­spro­chen, aber es ist sehr wich­tig, Re­spekt vor dem zu ha­ben, was da ist. Es ist wich­tig, Din­ge nicht als min­­der- oder hö­her­wer­tig ab­zu­tun. Es ist wich­tig, dass ihr der Zen-Meis­­te­rin oder dem Zen-Meis­­ter, aber auch euch selbst und den Men­schen, die hier­her­kom­men, mit Re­spekt begegnet.

Was mir hier im­mer wie­der auf­fällt, ist die of­fe­ne, rück­sichts­vol­le Freundlichkeit.

Ja, und das ist ge­nau der Wan­del, der in der Ent­wick­lung statt­ge­fun­den hat: vom Au­to­ri­tä­ren, Stren­gen zum Of­fe­nen, Freund­li­chen. Das ist auch das, was wir sehr oft hö­ren, zum Bei­spiel in Be­mer­kun­gen nach Sesshins.

Jiun Roshi mit drei Oshos (Tenjo, Suigen und Jigen)

Ji­un Ro­shi mit drei Os­hos (Ten­jo, Su­igen und Jigen)

Zwi­schen 1996 und 2021 gab es zwei­fels­oh­ne Hö­hen und Tie­fen. Was fällt in die­sen Jah­ren be­son­ders auf?

In ge­wis­ser Wei­se han­delt es sich um ein lang­an­dau­ern­des Hoch, denn aus der Sicht von Noor­der Po­ort als Zen­trum aus gab es kei­ne grö­ße­ren Sor­gen. Dank der groß­zü­gi­gen Spen­den der Sang­ha gab es meh­re­re Mo­men­te, die für den heu­ti­gen Zu­stand des Zen­trums be­stim­mend wa­ren. So er­gab sich bei­spiels­wei­se die Mög­lich­keit, zu­sätz­li­ches Land zu kau­fen, so dass das Ge­län­de des Zen­trums nun 10 Hekt­ar groß ist. In der An­fangs­zeit konn­ten dank der Spen­de ei­ner auf­ge­lös­ten Stif­tung un­er­war­tet die Hei­zung und der Fuß­bo­den des Zen­dos er­setzt wer­den. Vor zwei Jah­ren gab es ei­ne gro­ße Spen­de für die Er­neue­rung des Stroh­dachs, um die Iso­lie­rung zu ver­bes­sern und die lau­fen­den Kos­ten zu sen­ken. Das neue Zie­gel­dach ist ei­ne enor­me Ver­bes­se­rung. Die Stif­tung der Freun­de un­ter­stützt tat­kräf­tig die Ent­wick­lun­gen, die Noor­der Po­ort durch­läuft, nicht zu­letzt durch die re­gel­mä­ßi­ge Be­schaf­fung fi­nan­zi­el­ler Mit­tel über all ih­re Netzwerkkontakte.
Aber in ers­ter Li­nie geht es na­tür­lich um die Ent­wick­lung der Men­schen hier. Es ist im­mer ein High­light, wenn je­mand ei­ne gro­ße Ver­än­de­rung in sich selbst er­lebt. Es ist ein Hö­he­punkt, wenn Men­schen in der Aus­bil­dung ent­de­cken, was sie in ih­rem Le­ben und in ih­rer Ar­beit wirk­lich wol­len und kön­nen. Die Tief­punk­te wa­ren schwie­ri­ge Si­tua­tio­nen mit Leu­ten in der Aus­bil­dung, die mit ei­nem Ka­ter weg­gin­gen oder die wü­tend auf mich wa­ren. Es fällt mir im­mer schwer, ei­ne schlech­te Nach­richt über­brin­gen zu müs­sen, wäh­rend ei­ne Bin­dung auf­ge­baut wur­de. Oft sieht je­mand zum Glück selbst ein, dass es bes­ser ist, mit dem Trai­ning auf­zu­hö­ren. Aber wenn das nicht so ist, be­schäf­tigt mich das sehr und macht mir schlaf­lo­se Näch­te. Letz­te­res über­rascht die Leu­te manch­mal. Aber ich bin nicht frei von der Sor­ge um die Men­schen, auch nicht als Zen-Meis­­te­rin. Und das ist gut so. Au­ßer­dem tut es mir im­mer sehr leid, wenn je­mand die Un­­sui-Aus­­­bil­­dung aus ei­ge­nem An­trieb abbricht.
Aber dann liegt es nicht in mei­ner Macht, an die­sem Pro­zess et­was zu än­dern, und das schmerzt mich.

Noorder Poort 2021

Noor­der Po­ort 2021

Wel­che Mo­men­te in die­sen 25 Jah­ren wa­ren be­son­ders emo­tio­nal für dich?

Das sind fast im­mer die Ze­re­mo­nien. Wenn Men­schen die Ge­lüb­de ab­le­gen, wenn ich Men­schen zur Un­sui or­di­nie­re, wenn ich Leh­rer or­di­nie­re, die Or­di­na­ti­on von Tetsue Ro­shi, dann bin ich oft zu Trä­nen ge­rührt. In den ers­ten Jah­ren gab es auch Hoch­zeits­ze­re­mo­nien und Ba­­by-Se­g­nun­­gen. Das sind an­rüh­ren­de Mo­men­te. Ich bin oft auch be­wegt von dem, was Men­schen sa­gen, oder von Ein­sich­ten oder Aha-Er­­le­b­­nis­­sen, die sie mir wäh­rend ei­nes Sess­hins mit mir tei­len. Das En­ga­ge­ment und die Hil­fe, die wir er­hal­ten, be­rüh­ren mich im­mer wie­der. Und ich ha­be noch nicht ein­mal die Schön­heit der Um­ge­bung er­wähnt: die Na­tur, den Land­schafts­gar­ten. Im Ver­gleich zu da­mals, als wir hier­her­ka­men, gibt es jetzt viel mehr Tie­re; Vö­gel und Frö­sche ha­ben sich hier in gro­ßer Zahl angesiedelt.

Machst du dir Sor­gen, wenn du an die Zu­kunft des Noor­der Po­ort denkst?

Manch­mal ma­che ich mir Sor­gen dar­über, was pas­sie­ren wird, wenn ich nicht mehr da bin. Aber ich übe mich in dem Ver­trau­en dar­auf, dass auch das ge­lin­gen wird. In der Zwi­schen­zeit ar­bei­te ich ganz be­wusst dran, die Ba­sis zu ver­brei­tern. Ich ha­be bis­her meh­re­re Zen-Lehrer:innen, Os­hos und ei­ne Zen-Meis­­te­rin er­nannt. Su­igen, die in Noor­der Po­ort lebt, spielt als Os­ho und Zen­­do-Äl­­tes­­te ei­ne wich­ti­ge Rol­le im täg­li­chen Le­ben und ist ei­ne gro­ße Stüt­ze für die Un­su­is und auch für mich.

Hast du ei­nen Wunsch, ei­ne Bot­schaft in die­sem Ju­bi­lä­ums­jahr, ei­nen Wunsch für Noor­der Po­ort und die Sangha?

Mein Wunsch ist stets der­sel­be, näm­lich dass es im­mer Men­schen ge­ben wird, die Zen prak­ti­zie­ren. Dass es im­mer Men­schen ge­ben wird, die den Weg sehr in­ten­siv ge­hen, als Un­sui oder als Laie. Dass es Leu­te gibt, die die Ver­ant­wor­tung über­neh­men kön­nen, da­mit es Kon­ti­nui­tät gibt. Das ist mein ein­zi­ger Wunsch und das se­he ich auch als mei­ne Auf­ga­be an.

[1] So­wohl Noor­der Po­ort als auch die Stif­tung der Freun­de wer­den nach der Me­tho­de des so­zio­kra­ti­schen Krei­ses ge­führt. Der Schlüs­sel zu die­ser Me­tho­de ist die Gleich­heit bei der Ent­schei­dungs­fin­dung: je­des Ar­gu­ment zählt. In dem so ge­schaf­fe­nen si­che­ren Kli­ma ent­steht ein star­kes Ge­fühl der Mit­ver­ant­wort­lich­keit für die Über­brü­ckung von Un­ter­schie­den. Sie­he www.sociocratie.nl

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Do­ris Behrens)

Quel­le: De Noor­der Po­ort be­staat 25 jaar, Zen­Le­ven Herbst 2021