Zen ist mein Weg, Zen ist mein Leben

In­ter­view von Th­rees Vo­s­kui­len mit Myōs­hin Ji­gen Zeit­ler vom 11. Nov. 2020
(die nie­der­län­di­sche Ver­si­on wird in der Zeit­schrift Zen­le­ven on­line veröffentlicht)

Wir woll­ten uns für die­ses In­ter­view im neu­en Dhar­ma­haus Eus­kir­chen tref­fen. Lei­der galt zur Zeit die­ses In­ter­views die Emp­feh­lung nur not­wen­di­ge Rei­sen zu un­ter­neh­men. Dar­um be­geg­ne­ten Ji­gen und ich uns meh­re­re Ma­le auf dem Bild­schirm. Im blau­en Schim­mer des Bild­schirms sind Eus­kir­chen und Ha­vel­te (NL) mit klei­nen Ver­zö­ge­run­gen ver­bun­den. Ich se­he Ji­gen vor ei­ner Wand in ei­nem Zim­mer, se­he ih­re spar­sa­men Be­we­gun­gen und ih­re Mi­mik. Ich hö­re sie über die Laut­spre­cher mei­nes Lap­tops. Die­se Ver­bin­dung er­zeugt ei­ne ei­gen­ar­ti­ge Nä­he und Ab­stand gleich­zei­tig. Doch ist es viel mehr als uns gar­nicht zu tref­fen. Wir spre­chen nie­der­län­disch, denn nach fast 10 Jah­ren Woh­nen in Noor­der Port spricht Ji­gen we­sent­lich bes­ser nie­der­län­disch als ich deutsch.

Kannst du etwas über dein Leben erzählen?

Ich bin 1953 in Saal ge­bo­ren, ei­nem klei­nen Dorf in Bay­ern. Mei­ne El­tern wohn­ten dort da­mals in ei­nem Mehr­fa­mi­li­en­haus zu­sam­men mit an­de­ren jun­gen Fa­mi­li­en. Mei­ne El­tern sind ein­fa­che, lie­be, in­tel­li­gen­te Men­schen. Ich ha­be ei­ne vier Jah­re jün­ge­re Schwes­ter und ich er­in­ne­re mich noch recht gut, wie wir mit an­de­ren Kin­dern aber auch mit mei­nem Va­ter zu­sam­men spiel­ten, und wie wir im Schre­ber­gar­ten arbeiteten.

Mei­ne El­tern hat­ten selbst we­gen des Krie­ges kei­ne ge­wöhn­li­che Ju­gend­zeit er­lebt. Sie hat­ten kei­ne Vor­stel­lung, was es in mei­ner Zeit be­deu­te­te ein jun­ges Mäd­chen zu sein.

Nach der Re­al­schu­le woll­te mein Va­ter, dass ich Se­kre­tä­rin wer­de, wäh­rend ich un­be­dingt zum Gym­na­si­um woll­te. Bei die­ser Aus­ein­an­der­set­zung war ich das ers­te Mal mu­tig ge­nug mich durch­zu­set­zen. Nach dem Ab­itur be­gann ich ein Ju­ra­stu­di­um in Ham­burg, bin aber nach drei Se­mes­tern ge­wech­selt zum Stu­di­en­fach Soziologie.

Ins­ge­samt stu­dier­te ich acht Jah­re mit Freu­de aber auch, weil ich ne­ben dem Stu­di­um Geld ver­die­nen muss­te, ei­nen gro­ßen Freun­des­kreis hat­te und mich po­li­tisch en­ga­gier­te. Ich be­schäf­tig­te mich mit An­ar­chis­mus, Kom­mu­nis­mus und Mar­xis­mus, war ak­tiv in der Frau­en­be­we­gung, auf An­ti-Atom­kraft-De­mons­tra­tio­nen und in po­li­ti­schen Hoch­schul­grup­pen. Da­ne­ben ar­bei­te­te ich in ei­nem Knei­pen­kol­lek­tiv, und die­se kon­kre­ten Er­fah­run­gen wa­ren sehr prä­gend. In die­ser Zeit war ich mei­nen El­tern ein Rätsel.

Von 1983 bis 1987 saß ich in der Frak­ti­on der Grü­nen im Bun­des­tag in Bonn, zum Teil als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin, zum Teil als Ab­ge­ord­ne­te. Mei­ne Toch­ter Li­na war da­mals ein Kin­der­gar­ten­kind und manch­mal muss­te ich sie mit­neh­men, und sie saß dann in der Frak­ti­ons­sit­zung ne­ben mir auf ei­nem Stuhl mit Farb­stif­ten und Papier.

Ich hat­te gro­ße Er­war­tun­gen und Hoff­nun­gen als ich mit der Par­la­ments­ar­beit be­gann und ich bin um vie­le Il­lu­sio­nen är­mer ge­wor­den wäh­rend der Su­che nach Mög­lich­kei­ten, wie der Welt und den Men­schen zu hel­fen sei. Auf die­sem Weg in­iti­ier­te ich ei­nen Kon­gress mit dem The­ma: Po­li­tik, Wis­sen­schaft und Spi­ri­tua­li­tät. Ich woll­te das Po­li­ti­sche und das Spi­ri­tu­el­le mit­ein­an­der verbinden.

Im­mer wie­der fühl­te ich mich mei­ner Toch­ter ge­gen­über schul­dig, weil ich so viel ar­bei­te­te, ob­wohl ihr Va­ter ei­nen gro­ßen Teil der Sor­ge übernahm.

Nach der Zeit im Bun­des­tag be­kam die Ar­beit in ei­nem Kol­lek­tiv und die Ver­bin­dung zwi­schen Spi­ri­tua­li­tät und Po­li­tik ei­ne neue Form im Was­ser­mann­zen­trum, ei­ner Art New Age Zen­trum in der Ge­gend von Gschwend in Süd­deutsch­land. Hier kam mir zu­gu­te, dass ich meh­re­re Fort- und Aus­bil­dun­gen, un­ter an­de­rem in Ge­sprächs­füh­rung und Bio­en­erge­tik, ge­macht hat­te. Nach ei­nem Jahr im Was­ser­mann­zen­trum wur­de mei­ne zwei­te Toch­ter ge­bo­ren und bald dar­auf traf ich Prab­ha­sa Dhar­ma das ers­te Mal.

Wie hast du Prabhasa Dharma Zenji kennengelernt?

Ein gro­ßes bud­dhis­ti­sches Zen­trum in der Schweiz hat­te 1990 ei­nen Kon­gress zum The­ma „Po­li­tik und Spi­ri­tua­li­tät“ or­ga­ni­siert. Am ers­ten Abend gab es ei­ne Po­di­ums­dis­kus­si­on mit ei­ni­gen spi­ri­tu­el­len Leh­re­rin­nen zu der Fra­ge: „Wie ver­bin­det sich in dei­nem Le­ben Po­li­tik und Spiritualität?

Prab­ha­sa Dhar­ma be­rich­te­te über ih­re Be­geg­nung und ihr Trai­ning bei Jo­shu Sa­sa­ki Ro­shi und wie sie mit ein paar Men­schen das Mount Bal­dy Cen­ter auf­bau­ten. Wäh­rend Prab­ha­sa Dhar­ma er­zähl­te, dach­te ich im­mer wie­der: „Oh, das hät­te ich auch so ge­macht!“ Nach die­sem Abend tausch­ten wir un­se­re Adres­sen aus. Im Som­mer dar­auf plan­ten wir im Was­ser­mann­zen­trum ei­nen zwei­wö­chi­gen Kur­sus zu „Me­di­ta­ti­on und Hei­lung“, zu dem ich Prab­ha­sa Dhar­ma ein­lud. Als ich sie vom Flug­ha­fen ab­hol­te, ka­men wir in ei­nen Stau und hat­ten plötz­lich viel Zeit mit­ein­an­der zu sprechen.

Bei un­se­rer An­kunft brach­te ich sie auf ihr Zim­mer und leg­te mich selbst kurz aufs So­fa. Ich nick­te ein und halb schla­fend, halb träu­mend be­schloss ich: Ich brin­ge mei­ne Kin­der zu ih­ren Vä­tern und ge­he mit ihr mit. Er­schro­cken wach­te ich auf: Nein, nein, das will ich nicht! Bis da­hin war ich über­zeugt, dass ich kei­ne Leh­re­rin brauch­te und woll­te. Als sie ab­reis­te, sag­te ich ihr, dass ich ih­re Ar­beit ger­ne ken­nen­ler­nen wür­de. Sie hol­te ein klei­nes, zer­knit­ter­tes Stück Pa­pier aus ih­rer Hand­ta­sche auf dem Ter­mi­ne und Te­le­fon­num­mern an­ge­ge­ben wa­ren. Auch von ei­nem Zen­trum in Neu­müh­le im Saarland.

Ich mel­de­te mich für zwei auf­ein­an­der­fol­gen­de Kur­se von Prab­ha­sa Dhar­ma Zen­ji an, ob­wohl ich das Pro­gramm nicht kann­te. Es war vom 25. No­vem­ber bis 10. De­zem­ber 1990. Als ich we­ni­ge Ta­ge vor Be­ginn das Pro­gramm sah, er­schrak ich sehr. Me­di­tie­ren von mor­gens 4 Uhr bis abends 11 Uhr. Ich zwei­fel­te, ob ich wirk­lich ge­hen soll­te. Es stand auch aus­drück­lich in der Be­schrei­bung, dass er­war­tet wird, das je­der von An­fang bis En­de bleibt. Ich dach­te: Wenn sie denkt, dass ich das kann, dann ma­che ich es, und ich bin ge­fah­ren. In mei­nem blu­mi­gen, sei­dig-sam­te­nen Out­fit kam ich un­ver­hofft in ei­ne Ge­mein­schaft von et­wa 50 Men­schen, die al­le in schwar­zen Ro­ben da­sa­ßen. Mein ers­tes Dais­ess­hin be­gann, ge­folgt von ei­nem Roh­atsu mit nur zwei frei­en Ta­gen da­zwi­schen. Das war der Be­ginn. Es wa­ren zwei Wo­chen im Him­mel und in der Höl­le und am En­de war das ers­te, was ich dach­te: Wann ist das nächs­te Sesshin?

Was bedeutet es für dich eine Lehrerin, eine Meisterin zu haben?

Als ich Prab­ha­sa Dhar­ma Ro­shi ken­nen­lern­te wuss­te ich, dass ich et­was von ihr ler­nen konn­te und woll­te, ein­fach weil sie so war, wie sie war. Es hat mich un­glaub­lich an­ge­zo­gen, dass sie so klar war. Sie war so si­cher in dem, was sie tat, was sie sag­te und dach­te. Sie war klar im Den­ken und ge­nau­so klar und prä­sent im Han­deln. Schon bei un­se­rer ers­ten Be­geg­nung fühl­te ich ei­ne Ver­wandt­schaft mit Prab­ha­sa Dharma.

Ein Jahr da­nach be­kam sie die Dia­gno­se Krebs. Sie war mit Un­ter­bre­chun­gen acht Jah­re krank. Ji­un Ro­shi hat in die­ser Zeit viel Ar­beit von ihr übernommen.

Es ist nicht ein­fach zu sa­gen, was ich von ihr ge­lernt ha­be, das wird manch­mal erst Jah­re spä­ter deut­lich. Zu­sam­men­fas­send könn­te ich heu­te sa­gen, dass ich Zen durch und mit Prab­ha­sa Dhar­ma I ken­nen­lern­te, mit Ji­un Ro­shi wur­de Zen Teil mei­nes Lebens.

Ji­un Ro­shi mit Ji­gen Os­ho bei ih­rer Osho-Ordination

Ist Jiun Roshi auch deine Lehrerin, deine Meisterin?

Ja, si­cher, hun­der­pro­zen­tig, aber auf an­de­re Art. Als ich Prab­ha­sa Dhar­ma traf, war ich 37 Jah­re alt. Ich schau­te zu ihr auf und setz­te sie im­mer auf ein Po­dest. Das war auch ei­ne Bar­rie­re. Wenn ich im War­te­raum saß, um zu Prab­ha­sa Dhar­ma zum San­zen zu ge­hen, war ich auf­ge­regt und woll­te al­les rich­tig ma­chen. Mit Ji­un Ro­shi ver­bin­det mich be­din­gungs­lo­ses Ver­trau­en, da­durch ent­steht mehr Raum und Weite.

Du hast beinahe 10 Jahre in Noorder Poort gewohnt, wie war das für dich?

Schon in den 90er Jah­ren war ich re­gel­mä­ßig im Zen­trum in Noor­der Po­ort. 2008 bin ich dann hin­ge­zo­gen. Es war von Be­ginn an mein Wunsch zur Un­sui or­di­niert zu wer­den. Ob das mög­lich wä­re, war nicht gleich klar. Zwei Jah­re spä­ter war es dann so­weit. Im Un­sui­t­rai­ning er­hält man in­di­vi­du­el­le Be­glei­tung durch Ji­un Ro­shi, täg­lich zwei bis drei Stun­den Me­di­ta­ti­on, Stu­di­en­zei­ten, Ar­beit und Teil­nah­me an al­len Zen­pro­gram­men. Die­se Or­di­na­ti­on zur Un­sui 2010 war für mich der wich­tigs­te Schritt. Er be­deu­tet für mich die Ver­pflich­tung, den Zen­weg über al­les an­de­re zu stel­len und ihn zu­sam­men mit Ji­un Ro­shi zu ge­hen für den Rest mei­nes Lebens.

Du gehörst einer Generation an, in der individuelle Freiheit ein großes Ideal war. Wie hat sich das ausgewirkt während deiner Zeit als Unsui?

Na­tür­lich gab es in den Jah­ren als Un­sui auch schwie­ri­ge Zei­ten, aber Frei­heit war für mich schon lan­ge nicht mehr tun, was „ich“ selbst will. Ein Bei­spiel da­zu: ich war lan­ge Zei­ten in mei­nem Le­ben ge­trie­ben von dem Wunsch ei­ne Ge­mein­schaft auf­zu­bau­en. Ich wuss­te auch, dass mei­ne Zeit in Noor­der Po­ort ei­ne Trai­nings­pe­ri­ode war und ich wahr­schein­lich nicht bis zum En­de mei­nes Le­bens dort blei­ben wür­de. Prab­ha­sa Dhar­ma woll­te, dass im Nor­den, Os­ten, Wes­ten und Sü­den Zen­tren ent­ste­hen soll­ten. In die­ser Vi­si­on ha­be ich im­mer ei­ne Rol­le für mich selbst gesehen.

Zu­rück zum Bei­spiel. In mei­ner Zeit in Noor­der Po­ort las ich re­gel­mä­ßig Die Zeit. Ei­nes Ta­ges stieß ich auf die An­zei­ge ei­ner Ge­mein­de zwi­schen Han­no­ver und Ham­burg. Sie such­ten je­man­den, der in ei­nem gro­ßen leer­ste­hen­den An­we­sen et­was Neu­es auf­bau­en soll­te. Ich ließ die An­zei­ge ei­ni­ge Zeit auf mei­nem Schreib­tisch lie­gen. Ei­nen Tag vor Be­ginn des Roh­at­sus steck­te ich sie in mei­ne Ta­sche. Als ich Ji­un Ro­shi an der Tür traf, bat ich sie: „War­te ei­nen Mo­ment, ich möch­te dir et­was zei­gen.“ Ich gab ihr die An­zei­ge zu le­sen und sie frag­te: „Was willst du da­mit?“ Ich ant­wor­te­te: „Das weiß ich noch nicht, aber willst du es dir mal an­se­hen?“ Da sag­te sie: „Wirf es weg, wir ha­ben ge­nug zu tun,“ und sie ging weiter.

Ich war scho­ckiert und mein ers­ter Ge­dan­ke war weg­zu­ge­hen. Aber dann ent­schloss ich mich, erst das Roh­atsu zu ma­chen und in der Tie­fe die Ant­wort kom­men zu las­sen. Das ge­schah und mir wur­de sehr deut­lich, dass für mich das, was ich mit Ji­un Ro­shi ler­nen konn­te, das Wich­tigs­te war. Al­le äu­ßer­li­chen Din­ge wa­ren we­ni­ger wichtig.

Du frag­test nach Frei­heit, ver­stehst du, dass das ei­ne an­de­re Art Frei­heit ist?

Mein Eindruck ist es, dass es eine große Stärke von Noorder Poort ist, das Wachstum und stets größer zu werden nicht das höchste Ziel ist. Wenn das Zentrum von alleine wächst ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut.

Ja, ge­nau das ist für mich auch sehr wich­tig. Ich ha­be da­durch viel ge­lernt, vor al­lem in­ne­re Ru­he. Ich er­in­ne­re gut den Mo­ment, als mir das deut­lich wur­de. Wäh­rend ei­nes Ge­sprächs war mir plötz­lich be­wusst, dass mei­ne Zwei­fel weg wa­ren. In mei­nen po­li­ti­schen Zei­ten und auch im Was­ser­mann­zen­trum hat­te ich im­mer wie­der Zwei­fel, ob ich auch das Rich­ti­ge ma­che und ob es ge­nug ist. Wo­bei ich viel und mit gro­ßes Ein­satz ar­bei­te­te. Als mir nun plötz­lich klar war, dass die­se Zwei­fel vor­bei wa­ren, fühl­te ich ei­ne wun­der­ba­re Er­leich­te­rung. So ge­schieht das Ler­nen vor­bei am ra­tio­na­len Den­ken. Es war ei­ne tief­ge­hen­de Veränderung.

Du stehst in der Tradition des International Zen Institute, was bedeutet das für dich?

Prab­ha­sa Dhar­ma Zenji

Die Tra­di­ti­on ist wich­tig für mich. In der Zeit im Was­ser­mann­zen­trum ha­be ich vie­le For­men von Leh­rer­schaft und Un­ter­wei­sung er­lebt. Ich ha­be er­fah­ren, dass es viel Kraft kos­tet, et­was al­lein aus sich selbst her­aus aufzubauen.

In die­ser, mei­ner Tra­di­ti­on füh­le ich mich auf­ge­ho­ben, nichts muss al­lein aus ei­ge­ner Kraft ge­tan wer­den. Ich bin Leh­re­rin und Schü­le­rin zu­gleich, an­de­re Men­schen ge­hen den glei­chen Weg und al­les, was ich in die Tra­di­ti­on ein­brin­ge, nimmt die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on mit und sie geht weiter.

Dein Konzept von Menschen ist, dass jeder Mensch gut ist. Im gleichen Atemzug sprichst du auch über die Buddha-Natur in jedem Menschen. Gibt es da Unterschied?

Ich sto­ße mich an dem Wort Kon­zept, weil es kein Kon­zept ist. Es ist viel­mehr ei­ne Ver­bin­dung von Wis­sen und Ver­trau­en. Nein, ein gu­ter Mensch zu sein und die Bud­dha­na­tur ist nicht eins zu eins, weil es sich auf ver­schie­de­ne Di­men­sio­nen be­zieht. Die Bud­dha­na­tur geht tie­fer als nur ein gu­ter Mensch zu sein.

Aber dann würde ich auch gerne wissen, was …

Ja, die­se Fra­ge sah ich kom­men: Was ist Bud­dha­na­tur? Da gibt es kei­ne Ant­wort, die du auf­schrei­ben könntest.

Aber willst du es vielleicht doch versuchen?

(Ji­gen lacht und schweigt ei­ne Wei­le) Nun gut, ich wer­de es ver­su­chen: Die Bud­dha­na­tur geht al­lem Gu­ten und Schlech­ten, al­lem Schö­nen und Häss­li­chen vor­aus. Bud­dha­na­tur ist wah­res, pu­res Sein: Tat­ha­ga­tha — so ge­kom­men, so gegangen.
Für uns Men­schen heißt das, uns zu be­frei­en von al­len wir­ren, fest­ge­fah­re­nen Vor­stel­lun­gen, Über­zeu­gun­gen, Ideen, Wün­schen, und aus dem tiefs­ten, wah­ren We­sen her­aus zu le­ben, zu er­blü­hen von Mo­ment zu Mo­ment. Was wir an ei­nem “er­blüh­ten” Men­schen wahr­neh­men kön­nen ist Lie­be und Weis­heit. Ein “gu­ter” Mensch ist auf dem Weg dort­hin. Ich weiß und ver­traue, dass je­der Mensch das Po­ten­zi­al für spi­ri­tu­el­le Ent­wick­lung hat und dar­in er­blü­hen kann.
Wor­te sind manch­mal Un­ge­heu­er, die uns die Sicht ver­sper­ren. Las­sen wir es bei die­sem Fin­ger­zeig stehen.

Während dieses Interviews zieht sich ein roter Faden durch Jigens großen Wunsch, tatsächlich zu den Entwicklungen beizutragen, die Menschen auf ihrem Weg durchlaufen. Ich bemerke ihre Offenheit und die starke Motivation, auf einer tieferen Ebene lehren zu wollen als auf der Ebene des Wissens und der Theorie.

Kannst du etwas über deine Erfahrungen als Zenlehrerin erzählen?

Ich will ei­ne Er­fah­rung er­zäh­len, die auch ein biss­chen lus­tig ist, näm­lich, wie ich lern­te ein WC zu lieben.

Wenn auf Noor­der Po­ort ei­ne Grup­pe war, mach­ten wir an­schlie­ßend die Zim­mer sau­ber, das be­deu­te­te manch­mal 10 WCs und Ba­de­zim­mer sau­ber­zu­ma­chen. Ich hat­te da­mals vie­le kör­per­li­che Be­schwer­den, aber ich woll­te doch auch sau­ber­ma­chen. We­gen der Schmer­zen pro­bier­te ich stets an­de­re Be­we­gun­gen, um die Schmer­zen zu ver­rin­gern. Und so knie­te ich ein­mal vor ei­nem WC und mach­te in völ­li­ger Acht­sam­keit sehr gleich­mä­ßi­ge Be­we­gun­gen. Da „ver­schwand“ ich plötz­lich, und zu­gleich stieg ei­ne un­ge­heu­re En­er­gie in mir auf. Das war pu­re Lie­be. Es war ei­ne so in­ten­si­ve Er­fah­rung, dass mir für im­mer deut­lich war, dass man in je­der Ar­beit „ver­schwin­den“ kann, nicht nur in et­was, was man ger­ne macht, son­dern auch in et­was was Schmer­zen ver­ur­sacht oder was man nicht be­son­ders gern tut.

Ei­ne an­de­re Er­fah­rung, die mich als Leh­re­rin in­spi­rier­te kommt auch aus dem All­tag von Noor­der Po­ort, der größ­ten­teils aus Me­di­ta­ti­on und Ar­beit be­steht. Wir wa­ren stets mit un­ter­schied­li­chen Men­schen, Gäs­ten, Kurs­teil­neh­mern und auch Be­woh­nern zu­sam­men. Ei­ne un­se­rer Auf­ga­ben be­stand dar­in den Gäs­ten und Kurs­teil­neh­mern zu er­klä­ren, wie man in gu­ter Kör­per­hal­tung sitzt, wie man ein Zim­mer sau­ber­macht, wie das Ge­mü­se zu schnei­den ist, wie der Ab­wasch zu ma­chen ist und al­le sol­che Din­ge. Nach Jah­ren konn­te ich es im Traum und war es ei­gent­lich leid. In die­ser Stim­mung stand ich vor der Kü­chen­tür als mir plötz­lich „ein Licht auf­ging“: das ma­che ich nicht für mich, „mich“ spielt über­haupt kei­ne Rol­le, das ma­che ich für die an­de­ren, für uns al­le, zu zei­gen, wie wir auf ei­ne gu­te Art und Wei­se ar­bei­ten. Das war ein wich­ti­ger Mo­ment, ei­ne Ein­sicht, die das Leh­re­rin Sein ver­tief­te. Da­nach war es für mich nie mehr zu viel Er­klä­run­gen zu geben.

Als Osho bist du autorisiert, um Unsuis zu trainieren. Was für Möglichkeiten des Unsuitrainings gibt es?

Das ist wie­der ei­ne Fra­ge, die kaum zu be­ant­wor­ten ist. Das Un­sui­t­rai­ning ist ein Ge­sche­hen zwi­schen Leh­rer, Un­sui und den Um­stän­den. Es ist ein Pro­zess in dau­ern­der Be­we­gung. Ji­un Ro­shi war in Ka­li­for­ni­en bei Prab­ha­sa im Trai­ning, das war ein Trai­ning Eins zu Eins. Es gibt vie­le ver­schie­de­ne For­men von Un­sui­t­rai­ning, al­lein weil die Um­stän­de an­ders sind. Stell dir zum Bei­spiel ein Trai­ning in ei­nem Stra­ßen­pro­jekt vor oder in ei­nem Klos­ter mit 500 Nonnen.

Im Dhar­ma­haus Eus­kir­chen kön­nen bis zu drei Un­su­is woh­nen und trai­niert wer­den, aber viel­leicht gibt es auch noch wei­te­re Möglichkeiten.

Zurück in Deutschland

Nach bei­na­he 10 Jah­ren ging Ji­gen wie­der nach Deutsch­land zu­rück. Das war zu­nächst im Rah­men der Le­bens­ge­mein­schaft auf Burg Dis­ter­nich, wo sie das Zen­haus auf­bau­te und wo auch ih­re Toch­ter Li­na und ih­re El­tern wohn­ten. Li­na war die In­itia­to­rin der Le­bens­ge­mein­schaft, aber sie er­krank­te bald und starb. Es wa­ren zwei trau­ri­ge und kom­pli­zier­te Jah­re. Es wur­de deut­lich, dass die Be­woh­ner die ur­sprüng­li­che Vi­si­on von Le­bens­ge­mein­schaft un­ter­schied­lich in­ter­pre­tier­ten. Die­se Un­ter­schie­de konn­ten nicht mehr über­brückt wer­den und letzt­end­lich be­schloss Ji­gen, die Burg zu ver­las­sen. Die al­ten El­tern von Ji­gen woh­nen in­zwi­schen zu­frie­den in der Nä­he von Ji­gens Schwester.

Jigens nächster Schritt war die Errichtung eines Dharmahauses in Euskirchen, in der Nähe von Köln.

Das neue Dhar­ma­haus ist nun re­no­viert und her­ge­rich­tet für Kurs­teil­neh­mer, Gäs­te und/oder Mit­be­woh­ner. Das Stadt­haus hat bau­li­che Ele­men­te aus der Bau­haus­pe­ri­ode und liegt in ei­ner ru­hi­gen Stra­ße na­he der In­nen­stadt. Im Erd­ge­schoss be­fin­det sich das Zen­do mit Platz für 15 Teil­neh­mer, der Wohn-Ess­be­reich und die Kü­che. Im 2. Ober­ge­schoss sind Räu­me für Teil­neh­mer oder Bewohner.

Im Herbst ar­bei­te­te Ji­gen viel mit Un­ter­stüt­zung der Sang­ha im klei­nen Gar­ten hin­ter dem Haus. Es wur­den vie­le Pflan­zen ge­setzt und das Laub von zwei gro­ßen, al­ten „Samu“-Bäumen wur­de ent­sorgt. Ji­gens Vi­si­on ist es, hier mit Un­su­is zu woh­nen und zu trai­nie­ren und ver­schie­de­ne Me­di­ta­ti­ons­an­ge­bo­te zu ma­chen. Das Dhar­ma­haus bie­tet da­für die Mög­lich­keit und hof­fent­lich wird das Haus, so sagt Ji­gen, auch ein­mal oh­ne sie weiterbestehen.

Als im Sep­tem­ber 2020 die Re­no­vie­rung vor­läu­fig ab­ge­schlos­sen war und die Kur­se be­gan­nen, gab es gleich dar­auf den zwei­ten „Lock­down“. Seit Ja­nu­ar gibt Ji­gen al­le Kur­se und Sess­hins auch on­line und das läuft ganz gut. Es ist, als ob da kei­ne Mau­ern mehr wä­ren, sagt Ji­gen, Men­schen von weit ent­fernt sind über das In­ter­net plötz­lich ganz nah. Und doch, sagt Ji­gen, freue ich mich auf das Früh­jahr, den Som­mer und das En­de des Lock­downs, wenn wir uns wie­der di­rekt tref­fen können.

Das Pro­gramm des Dhar­ma­hau­ses fin­dest du auf www.dharmahaus-euskirchen.de