Be­ar­bei­tung ei­nes Vor­trags von Ji­un Ro­shi für die Platt­form 30 Now am 25. Ok­to­ber 2020

Nach Hause gehen in Zeiten der Veränderung

Heut­zu­ta­ge hö­ren wir oft, dass wir in Zei­ten der Ver­än­de­rung le­ben. Man kann sich die Fra­ge stel­len, ob es Zei­ten oh­ne Ver­än­de­rung über­haupt gibt. Der Leh­re Bud­dhas zu­fol­ge ist Ver­än­der­lich­keit doch ei­nes der drei grund­le­gen­den Merk­ma­le der Existenz.

Ich glau­be, dass dies auch ei­ne der ers­ten Ent­de­ckun­gen ist, die ihr beim Me­di­tie­ren macht. So­bald ihr euch auf das Kis­sen setzt, so­bald ihr still wer­det, seht ihr zu­gleich ei­ne ste­ti­ge Ver­än­de­rung. Im Lau­fe des Übens tritt dies zu­dem im­mer deut­li­cher zu Ta­ge, und die Ver­än­de­run­gen, die ihr seht, wer­den im­mer fei­ner und sub­ti­ler. Je län­ger wir me­di­tie­ren, je län­ger wir mit Bud­dhas Au­gen schau­en, um­so deut­li­cher se­hen wir, dass sich un­ser Kör­per, un­se­re Emo­tio­nen, un­ser Den­ken von ei­nem Au­gen­blick zum an­dern ver­än­dern. Das, was wir als das Selbst be­zeich­nen, ist stän­dig in Be­we­gung. Und auch „au­ßer­halb“ un­se­res Selbst se­hen wir, dass die Din­ge sich stän­dig verändern.
Wenn aber über Zei­ten der Ver­än­de­rung ge­spro­chen wird, dann geht es oft um Ver­än­de­run­gen, die von sehr vie­len Men­schen oder gar von der gan­zen Ge­sell­schaft er­lebt wer­den. Es ist au­gen­schein­lich, dass wir mo­men­tan in solch ei­ner Zeit leben.

Wenn wir über die Ver­gäng­lich­keit nach­den­ken, über die Tat­sa­che, dass al­les sich ver­än­dert, stel­len wir fest, dass uns das nicht im­mer ge­fällt. So er­le­ben wir die der­zei­ti­ge Co­ro­­na-Zeit als ei­ne un­an­ge­neh­me Ver­än­de­rung. Wir möch­ten, dass vie­le Din­ge so blei­ben, wie sie wa­ren. Es gibt na­tür­lich auch sol­che, über de­ren Ver­än­de­rung wir sehr froh sind. Wahr­schein­lich hof­fen wir der­zeit, dass das gan­ze Ge­sche­hen um Co­ro­na wie­der auf­hört, ei­ne Ver­än­de­rung, die wir uns al­le wün­schen. Das ist gut so.

Von Zen und dem Bud­dhis­mus aus­ge­hend se­hen wir, dass die Ver­gäng­lich­keit letzt­end­lich die Mög­lich­keit für al­les lie­fert. Wenn es kei­ne Ver­gäng­lich­keit gä­be, wür­den wir z.B. heu­te Abend hier nicht so sit­zen. Ei­gent­lich weiß ich nicht, was dann wä­re. Ein Le­ben oh­ne Ver­gäng­lich­keit kann ich mir nicht vor­stel­len. Tat­säch­lich ist die Ver­gäng­lich­keit al­so et­was sehr Po­si­ti­ves: Sie bie­tet die Mög­lich­keit für al­les, und das ist üb­ri­gens un­trenn­bar ver­bun­den mit dem, was wir su­n­ya­ta oder Lee­re nennen.

Die Mög­lich­keit für al­les hat mit dem zu tun, was ich „nach Hau­se ge­hen“ nen­ne. Nach Hau­se ge­hen ist auch der Ti­tel des ein­zi­gen Bu­ches, das mei­ne Meis­te­rin schon zu ei­nem sehr frü­hen Zeit­punkt in ih­rer Zeit als Zen-Leh­­re­rin über das ge­schrie­ben hat, was Zen-Trai­­ning für sie be­deu­tet. Als Ti­tel des Bu­ches wähl­te sie Go­ing home. Und das Nach-Hau­­se-Ge­hen steht in die­sem Zu­sam­men­hang für das Rea­li­sie­ren des­sen, was wir Selbst nen­nen. Mit al­lem, was da­zu ge­hört. Mei­ne Meis­te­rin hat das in dem Buch fol­gen­der­ma­ßen for­mu­liert: Das, was wir Selbst nen­nen, ist das flüch­ti­ge Zu­sam­men­tref­fen von Din­gen in ei­nem ein­zig­ar­ti­gen, flüch­ti­gen Er­eig­nis, ge­nannt Selbst, und das dar­an un­mit­tel­bar sich an­schlie­ßen­de Auf­lö­sen die­ses Er­eig­nis­ses, ge­nannt Selbst. Dies wer­de ich im wei­te­ren Ver­lauf mei­nes Vor­trags erläutern.

Nach Hau­se ge­hen be­deu­tet al­so das Rea­li­sie­ren des Selbst, und das Selbst ist das flüch­ti­ge Zu­sam­men­tref­fen von Din­gen in ei­nem ein­ma­li­gen Er­eig­nis. Man kann al­so sa­gen: Nach Hau­se ge­hen ist das Ent­ste­hen des flüch­ti­gen Selbst, und das Haus ver­las­sen ist das un­mit­tel­bar sich an­schlie­ßen­de Auf­lö­sen des flüch­ti­gen Selbst. Es han­delt sich al­so um ein Kom­men und Ge­hen. Der Ti­tel des Bu­ches lau­tet auch nicht, zu Hau­se sein, son­dern nach Hau­se ge­hen. Ein voll­stän­di­ger Ti­tel wä­re: Nach Hau­se ge­hen und das Haus wie­der verlassen.

Auch Bud­dha hat das so for­mu­liert. Als er über sich selbst sprach, be­zeich­ne­te er sich als den Tat­ha­ga­tha. Z.B. Der Tat­ha­ga­tha hat ge­hört, dass… Das Wort Tat­ha­ga­tha be­deu­tet: so­eben ge­kom­men. Und ei­gent­lich müss­ten wir er­gän­zen Tatha-aga­­tha: so­eben ge­gan­gen. Tat­ha­ga­tha ist: so­eben ge­kom­men, so­eben ge­gan­gen. Nach Hau­se ge­hen und das Haus wie­der ver­las­sen. Das Haus ist al­so ein zeit­wei­li­ges Zu­hau­se. Dein Zu­hau­se ist ein flüch­ti­ges Zu­hau­se, das im­mer wie­der neu zu­stan­de kommt. Wie­der und wie­der. Wie­der und wieder.

Es be­darf der Me­di­ta­ti­on, des Still-Wer­­dens, des Nicht-Wis­­sens, um da­hin zu kom­men, wo du ganz und gar zu Hau­se bist. Wäh­rend mei­nes Zen-Trai­­nings ha­be ich viel mit Ko­ans ge­übt. Ko­ans sind klei­ne Ge­schich­ten, Si­tua­tio­nen, an die meis­tens ei­ne Fra­ge ge­bun­den ist. Sie ha­ben im­mer mit der Wirk­lich­keit des flüch­ti­gen, in Be­we­gung be­find­li­chen Selbst zu tun. Ich er­in­ne­re mich an zwei Ko­ans, die di­rekt mit dem Zu­hau­se zu tun ha­ben. Das ers­te lei­tet sich aus ei­nem Vor­trag des Meis­ters Hong­zhi, ei­nes chi­ne­si­schen Zen-Meis­­ters aus dem 12. Jahr­hun­dert, ab. Er sag­te: Wer dem Weg folgt, hat da­nach nir­gend­wo ei­nen fes­ten Auf­ent­halts­ort. Die Fra­ge da­zu ist dann bei­spiels­wei­se: War­um hast du kei­nen fes­ten Auf­ent­halts­ort? Dar­auf könn­test du sehr schnell ant­wor­ten: Lo­gisch, al­les ver­än­dert sich stän­dig, al­so gibt es auch kein un­ver­än­der­li­ches Zu­hau­se. Aber wie lässt sich das realisieren?

Ein an­de­res Ko­an, mit dem ich ge­übt ha­be, be­kam ich von Sa­sa­ki Ro­shi: How do you rea­li­ze yours­elf as a home­l­ess monk? Wie rea­li­sierst du dich selbst als ei­nen Mönch oh­ne Zu­hau­se? Bei­de Ko­ans ha­ben mit dem Zu­hau­se zu tun. Hong­zhi sagt: Du hast kei­nen fes­ten Auf­ent­halts­ort. Und Sa­sa­ki fragt: Wie bist du ein Mönch oh­ne Zu­hau­se? Und da­mit war nicht ge­meint, dass ein Mönch kei­nen Be­sitz und kein Haus hat, es han­delt sich um ei­nen Ver­weis auf die Wirk­lich­keit des Selbst. Es ver­weist auf un­se­re Mög­lich­keit, nach Hau­se zu ge­hen und das Haus im­mer wie­der zu ver­las­sen, ei­ne Mög­lich­keit, die un­ab­hän­gig da­von ist, ob wir das kön­nen oder wol­len. Denn tat­säch­lich gibt es da im­mer die fort­dau­ern­de Be­we­gung, den fort­dau­ern­den Strom von ganz flüch­ti­gen Er­eig­nis­sen, und die wer­fen wir zu­sam­men auf ei­nen Hau­fen und sa­gen: Das bin ich. Das ist das Selbst.

Wie kommt die Be­we­gung, der Strom von Er­eig­nis­sen, das Selbst, ei­gent­lich zu­stan­de? Wie kommt es, dass wir zu ei­nem Zu­hau­se ge­hen und das Zu­hau­se auch wie­der ver­las­sen? War­um gibt es die fort­dau­ern­de Be­we­gung? Schau­en wir mal, ob ich euch zu dem Zu­hau­se mit­neh­men kann. Da­für be­nut­ze ich gern die Übung des Atem­zäh­lens. Das ist ei­ne sehr gu­te Me­di­ta­ti­ons­übung um zu rea­li­sie­ren, dass man stets nach Hau­se geht. Und das Haus wie­der verlässt.

Wir ma­chen das fol­gen­der­ma­ßen, so wie wir, was mich an­geht, im­mer die Übung des Atem­zäh­lens ma­chen: Du at­mest ein, und in dem Mo­ment des Aus­at­mens at­mest du die Zahl ee­eins aus. Die ‚eins‘ fällt al­so ganz und gar mit dei­ner Aus­at­mung zu­sam­men. So­lan­ge du aus­at­mest, gibt es nichts an­de­res als: ee­eins. Dann folgt wie von selbst die Ein­at­mung, und mit der fol­gen­den Aus­at­mung wird al­les: zweeei. In dem Mo­ment, da du eins aus­at­mest, ist die eins al­so dein Zu­hau­se. Dann at­mest du ein, ver­lässt wie­der das Zu­hau­se, und gehst wei­ter zu dem Zu­hau­se zwei.
Das ist et­was, was man tun muss. Du brauchst al­so nicht viel dar­über nach­zu­den­ken oder zu ver­su­chen, es zu ver­ste­hen. Du musst es auch nicht in vol­lem Be­wusst­sein tun, denn dann ist da noch ein biss­chen ‚wis­sen‘. Mit dei­nem gan­zen Sein wirst du in der Aus­at­mung von ee­eins sit­zen. Und die Ein­at­mung kommt von selbst. Dann gehst du zur zweeei. So hast du stets ein an­de­res Zu­hau­se. Zu­erst ist das Zu­hau­se ee­eins. Dann ver­lässt du das Zu­hau­se. Dann kommt das Zu­hau­se zweeei. Und du ver­lässt das Zu­hau­se. Dann kommt das Zu­hau­se dree­ei. Und du ver­lässt das Zu­hau­se. Und so wei­ter. Und wenn du bei zehn bist, gehst du zu­rück zu dem Zu­hau­se eeeins.

Das ist ein Wun­der, nicht wahr! In dem Mo­ment, da du eins aus­at­mest, ist al­les als eins nach Hau­se ge­kom­men. Al­so die gan­ze Fa­mi­lie, die wir das Selbst nen­nen: Ideen, Vor­stel­lun­gen, Ge­füh­le, Emo­tio­nen, Kör­per sind in der eins zu­sam­men­ge­kom­men. Und nach­fol­gend in der zweeei. Und das ist be­frei­end. Denn in dem Mo­ment, da die gan­ze Fa­mi­lie zu­sam­men­kommt in dem Zu­hau­se von ee­eins, ist da nichts an­de­res mehr als das. Al­les an­de­re ist ge­ra­de ver­schwun­den. Wenn du mit der Be­we­gung mit­gehst, ganz und gar und al­les zu­sam­men­fällt, was da ist, nicht nur in der eins, son­dern auch in der zwei, drei, vier, dann ist da stets die­ser flüch­ti­ge Mo­ment, wo das Selbst noch frei ist von al­len Merk­ma­len, von al­lem Wis­sen, von al­lem was es muss, will, etc. etc. Dann fühlst du dich wie neu­ge­bo­ren. Dann bist du auch neugeboren.
Das ist das, was ich Wie­der­ge­burt nen­ne: ei­ne Wie­der­ge­burt von ei­nem Mo­ment zum an­de­ren. In dem flüch­ti­gen Selbst sit­zen Din­ge, die im­mer wie­der neu zu­sam­men­kom­men, mit sehr klei­nen Ver­än­de­run­gen zwar, aber es ist doch im­mer wie­der neu ge­bo­ren wor­den. Um das rea­li­sie­ren zu kön­nen, müs­sen wir auch im­mer wie­der das Haus ver­las­sen, müs­sen wir mit dem Pro­zess mit­ge­hen. Das ist nicht nur Bud­dhis­ten oder Zen-Üben­­den vor­be­hal­ten. Eben­so we­nig wie nur klu­gen Men­schen, rei­chen Men­schen, Frau­en oder Män­nern: je­der Mensch kann im­mer wie­der nach Hau­se kom­men. Ei­gent­lich müss­te ich es noch an­ders aus­drü­cken: Wir kom­men in je­dem Mo­ment nach Hau­se, ob wir das wol­len oder nicht, ob wir das wis­sen oder nicht. Es geht dar­um, dass wir das auch rea­li­sie­ren, denn das ist auch die be­frei­en­de Wir­kung. Fast wie ei­ne Art Er­leich­te­rung: al­les war ge­ra­de weg, und du kannst wie­der auf das zu­ge­hen, was dann kommt.

Das ist na­tür­lich nicht nur beim das Atem­zäh­len oder ir­gend­wel­chen an­de­ren Me­di­ta­ti­ons­übung mög­lich. Das Zu­hau­se kann al­les sein: Dies kann das Zu­hau­se sein: [sie schlägt die Glo­cke]; und das kann das Zu­hau­se sein: [sie trinkt ei­nen Schluck Was­ser]; dies ist das Zu­hau­se: [sie schreibt]. Auch die Din­ge, die durch un­se­re Sin­nes­or­ga­ne her­ein­kom­men, sind im Prin­zip das Zu­hau­se. Wir sa­gen so­gar, dass der Dhar­ma kei­nen Un­ter­schied macht. Der Dhar­ma sagt nicht: Ich bin zwar in schö­nen Din­gen zu Hau­se, aber nicht in häss­li­chen. Al­les, was es im Le­ben gibt, was auch im­mer es ist, in dem Mo­ment, in dem wir da­mit Kon­takt ha­ben, ist es un­ser Zu­hau­se. Und da­her hat auch wirk­lich al­les die­se be­frei­en­de Qua­li­tät. Und es ist die be­frei­en­de Qua­li­tät, die uns öff­net, die – was ich ganz zu An­fang ge­sagt ha­be – die Mög­lich­keit für al­les ist.

Das ist auch ei­ner der Grün­de, wes­halb wir im Bud­dhis­mus manch­mal sa­gen, dass ein Bod­hi­s­att­va kei­nen fes­ten Stand­punkt hat. Ein Bod­hi­s­att­va hat zwar ei­nen Stand­punkt, aber kei­nen fest­ste­hen­den. Ein fes­ter Stand­punkt wür­de be­deu­ten, dass es nicht mehr die Mög­lich­keit für al­les gibt. Ein fes­ter Stand­punkt ver­hin­dert, dass wir se­hen, dass wir im­mer wie­der neu ge­bo­ren wer­den. Dass wir in Kon­takt tre­ten kön­nen mit dem, was jetzt ist. Und erst dann, wenn wir wirk­lich, wirk­lich den Kon­takt her­ge­stellt ha­ben, kön­nen wir von dort aus in al­le Rich­tun­gen ge­hen. Dann kön­nen wir es im­mer noch ab­leh­nen. Dann kön­nen wir es im­mer noch lie­ben. Aber es be­ginnt mit dem Zu­­hau­­se-Sein in dem, was da ist.

Und auch in Zei­ten, in de­nen wir es schwer ha­ben, kön­nen wir uns selbst Raum schaf­fen, in­dem wir in ein Zu­hau­se ge­hen. Und das kön­nen wir üben, in­dem wir mit klei­nen, all­täg­li­chen Din­gen an­fan­gen, die re­gel­mä­ßig in un­se­rem Le­ben vor­kom­men, und die we­der mit Vor­lie­be noch Ab­leh­nung be­las­tet sind. Ich füh­re hier im Zen­trum oft das Bei­spiel von Tü­ren öff­nen oder schlie­ßen an. Im­mer wenn du ei­ne Tür öff­nest, wenn du ei­ne Tür schließt: lass das mal dein Zu­hau­se sein. In die­sem Mo­ment soll es nichts an­de­res ge­ben. Und du machst neu ge­bo­ren wei­ter. Mit al­lem, was da war, und doch auch wie­der neu.
Du kannst dir für dich et­was aus­su­chen. Wir ar­bei­ten al­le viel mit dem Com­pu­ter, wir ha­ben stän­dig un­ser Te­le­fon bei uns. So kannst du al­so sa­gen, je­des Mal, wenn ich das Te­le­fon hö­re oder ein an­de­rer Klin­gel­ton er­tönt, rea­li­sie­re ich als ers­tes, dass der Klin­gel­ton mein Zu­hau­se ist. Nicht gleich schau­en, wer es ist, nein, nur eben rea­li­sie­ren, dass der Klin­gel­ton in dem Mo­ment mein Zu­hau­se ist. Das kannst du üben. Und ich den­ke, du wirst mer­ken, dass es Raum in dei­nem Le­ben schafft und in die­sem Sin­ne be­frei­end wirkt. Dass du dich öff­nest für das, was da ist.

Und wenn du nicht voll und ganz rea­li­sierst, dass das dein Zu­hau­se ist, ist das nicht schlimm. Wenn du es als Übung auf­fasst, die du im­mer wie­der ma­chen kannst, wirst du mer­ken, dass du in je­dem Fall die Be­reit­schaft ent­wi­ckelst, mit den Din­gen, die dir ent­ge­gen­kom­men, in Kon­takt zu tre­ten. Dass du nicht mehr so­fort mit Vor­lie­be oder Ab­leh­nung be­fasst bist, da­mit, was du schön fin­dest und was du nicht schön fin­dest, son­dern dass du in der Wirk­lich­keit lebst, die in die­sem Mo­ment ist.

In un­se­rer Zen-Übung stel­len wir oft die Fra­ge: Be­vor du weißt, was es ist, was ist es? Be­vor du ur­teilst, was ist es? Be­vor du ihm ei­nen Na­men gibst, was ist es? Be­vor du es schön oder nicht schön fin­dest, was ist es? Und wenn du dann rea­li­sierst, was es ist, was in die­sem Mo­ment das Zu­hau­se ist, dann wirst du mer­ken, dass du von da aus in al­le Rich­tun­gen ge­hen kannst. Das ist es, was ich uns al­len wün­sche, dass wir mit al­len Ver­än­de­run­gen auf sol­che Wei­se um­ge­hen kön­nen, dass wir im­mer wie­der zu Hau­se sind, dass wir in die­sen Zei­ten der Ver­än­de­rung nach Hau­se ge­hen und das Haus wie­der ver­las­sen kön­nen. Ich hof­fe, dass ihr hier­in ei­ne Her­aus­for­de­rung se­hen könnt, Din­ge in eu­rem All­tags­le­ben ma­chen zu kön­nen, Din­ge, die wie­der­keh­ren, und zu rea­li­sie­ren: Das ist mein Zu­hau­se. Und jetzt schon wie­der nicht mehr. Und dies hier ist mein Zu­hau­se. Und schon wie­der nicht mehr. Und die Ver­än­de­rung, die ist sehr gut, da ge­hen wir mit. Denn ei­gent­lich kann es nicht an­ders sein. Ei­gent­lich ist das nor­mal so. Vie­len Dank für Eu­re Aufmerksamkeit.

Fra­ge: Manch­mal ist ei­ne Ver­än­de­rung al­ler­dings sehr do­mi­nant, und dann ist es sehr schwer, nach Hau­se zu kommen.
Ji­un Ro­shi: Ja, das stimmt. Ich spre­che hier na­tür­lich ein­fach dar­über, es zu tun, ist je­doch sehr schwie­rig. Des­we­gen ra­te ich da­zu, mit Din­gen zu be­gin­nen, die euch ver­traut sind und die kei­ne Ge­fahr dar­stel­len, die re­gel­mä­ßig vor­kom­men und da­bei euch das Bild wach­zu­ru­fen: Ich wer­de jetzt mal zu Hau­se sein in dem Mo­ment, in dem ich mei­nen Kaf­fee trin­ke oder die Glo­cke hö­re oder die Tür öffne.

Fra­ge: Das stän­di­ge Nach­hau­se Kom­men und das Zu­hau­se Ver­las­sen, ist das nicht et­was, das im­mer im sel­ben, ein­zig­ar­ti­gen Mo­ment pas­siert und so­mit au­ßer­halb der Zeit steht?
Ji­un Ro­shi: Ja, sehr ge­nau wahr­ge­nom­men. Schluss­end­lich ist es ge­nau­so. Es geht oft um kein Raum, kei­ne Zeit, und das hat in der Tat in ho­hem Ma­ße hier­mit zu tun. In dem Mo­ment, in dem du rea­li­sierst, dass du eins bist in dem, was es auch im­mer ist, sind ei­gent­lich al­le Gren­zen ver­schwun­den, auch die Gren­zen von Raum und Zeit. Al­so ist die­ser Mo­ment die Ewig­keit, nicht be­grenzt durch Zeit oder Raum. Das ist mei­nes Er­ach­tens auch der Grund, wes­halb wir es als et­was Be­frei­en­des er­le­ben, los­ge­löst von Raum und Zeit.

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Do­ris Behrens)

Quel­le: Naar huis ga­an in tij­den van ver­an­de­ring, Zen­le­ven Früh­jahr 2021