Hans Red­din­gi­us (geb. 1930) war seit den 1970er Jah­ren von der ja­pa­ni­schen Vers­form des Hai­ku fas­zi­niert. Er ist seit vie­len Jah­ren ak­ti­ves Mit­glied des Hai­ku-Krei­ses Nie­der­lan­de, und sie­ben Jah­re lang war er Chef­re­dak­teur des nie­der­län­disch-flä­mi­schen Hai­ku-Ma­ga­zins Vu­urs­teen. Seit 1998 prak­ti­ziert er Zen, u.a. in Retre­ats im Noor­der Po­ort. Er be­treut die Hai­ku­ru­brik für ZenLeven.

Regen

Schö­nes Wet­ter – da­mit mei­nen wir nor­ma­ler­wei­se, dass es nicht reg­net. Es ist so, als ob wir dem Re­gen nichts ab­ge­win­nen könn­ten, auf je­den Fall nichts Schö­nes. Und ja, Re­gen kann ent­täu­schend sein. Du kannst Zen-Mönch sein, dein Le­ben der Me­di­ta­ti­on, dem Los­lö­sen und der Ak­zep­tanz des­sen wid­men, was ist. Aber heu­te willst du doch un­be­dingt ins Dorf, um mit den Kin­dern Fuß­ball zu spie­len; das ge­hört doch ein­fach dazu?

Wenn es regnet,
hat die­ser Mönch Ryôkan
Mit­leid mit sich selbst
Ryô­kan (1758–1831)1

 

Oder du bist alt, sitzt stän­dig in dei­nem Zim­mer und wür­dest gern nach drau­ßen ge­hen, dich mal eben bewegen….

Grau­er Regentag;
ich steh‘ von mei­nem Ses­sel auf
und setz‘ mich wie­der hin.
Pau­li­ne Re­gens­burg2

 

Wenn es reg­net, kannst du dich ein­ge­sperrt und ein­sam fühlen.

der Re­gen tropft
ge­gen das Schweigen
die­ses dunk­len Hauses
Mar­cel Smets3

 

mein Freund
war nicht zu Hause
nur der Regen
Wim Lof­vers4

 

Aber ge­nau so, wie Me­lan­cho­lie und Ein­sam­keit zum Le­ben ge­hö­ren, so ge­hört Re­gen zur Na­tur, mit al­lem, was ist. Oh­ne Re­gen kein Le­ben auf der Erde.

wenn es lang regnet
kla­gen die Men­schen, singen
noch stets die Vögel
Jac Vroe­men5

 

in der grau­en Nacht
fällt still der Regen
die Er­de horcht
Wim Lof­vers4

 

Und na­tür­lich sind wir auch nur ein Fit­zel­chen in all dem.

Ich ma­che ei­nen Vers
der Frosch tut ei­nen Sprung
der Re­gen regnet
J.C. van Scha­gen6

 

Und dar­um:
Leg nun al­les weg,
Re­gen ist gekommen.
Geh und horch.
J.C. van Scha­gen6

 

Es gibt sanf­ten, fried­li­chen Re­gen. Manch­mal fühlt man, wie Re­gen ver­bin­det, durch Klang, Ge­fühl, Geruch.

Rau­schen­der Regen;
in der Dun­kel­heit un­se­rer Kutsche
ihr sanf­tes Flüstern.
Bu­son (1715–1783)1

 

Es hat geregnet -
der Duft von frisch ge­mäh­tem Gras
strömt in den Raum.
Het­ty Riet­veld2

 

Re­gen am Abend
auf der Straße
der Ge­ruch von Holz
Hans Red­din­gi­us7

 

Aber es gibt auch sint­flut­ar­ti­ge Re­gen­fäl­le. Viel­leicht be­droh­lich, aber doch auch wie­der ver­bin­dend, was zu der Er­kennt­nis führt, dass al­les zu­sam­men gehört.

In die­sem Wolkenbruch,
ein nack­ter Rei­ter, reitend
auf sei­nem nack­ten Pferd.
Is­sa (1763–1827)1

 

Im Platz­re­gen
spie­geln die Pfützen
den ro­sa Abendhimmel
Het­ty Riet­veld8

 

Un­ver­hofft kann Re­gen so­gar für ei­ne klei­ne Par­ty sorgen.
Und nun ja, Re­gen macht ei­nen nass. Das ge­hört nun mal dazu.

es reg­ne­te
da kam et­was da­her getrottelt
ein nas­ses Kätzchen
J.C. van Scha­gen6

 

Wie vie­le Leute
lau­fen im Re­gen über die
Lan­ge Seta-Brücke?
Jōsō (1662–1704)1

 

Die­ses letz­te er­in­nert an ei­nen be­rühm­ten Holz­schnitt von Utag­awa Hi­ro­shi­ge: „Plötz­li­cher Abend­re­gen auf der Gro­ßen Brü­cke in Ata­ke“, aus den „Hun­dert An­sich­ten be­rühm­ter Or­te in Edo“, 1857, und an das Öl­ge­mäl­de, auf dem Vin­cent van Gogh die glei­che Sze­ne dar­stell­te, 1887.

Al­so: Lasst uns den Re­gen schät­zen, nach dem Re­gen hor­chen, den Re­gen spüren.

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­rie Loui­se Linder)

  1. Hai­ku: Een jon­ge ma­an, Ja­pan­se hai­ku van de vi­jf­ti­en­de ee­uw tot he­den. Keu­ze, in­lei­ding en ver­ta­ling door J. van Too­ren. Meu­len­hoff, Ams­ter­dam 1973
  2. Hai­ku: Een klei­ne re­gen­boog. Bloem­le­zing van Ne­der­land­se en Vlaam­se hai­ku. Kai­ros, Soest 1993
  3. Mar­cel Smets: Vo­or de nacht. Hai­koe en sen­rioe. Sint­jo­ris, St.-Denijs-Westrem 1993
  4. Wim Lof­vers: Soms weet ik het even. Mar­gi­na­le Uit­ge­ve­rij ’t Ho­ge Wo­ord, Bak­hui­zen 2006.
  5. Jac Vroe­men: Dom­weg ge­luk­kig. Mar­gi­na­le Uit­ge­ve­rij Iris, Mid­del­burg 2019
  6. J.C. van Scha­gen: Wat dit bli­jfs­el over­bleef. De Prom, Baarn 1985
  7. Hans Red­din­gi­us: Licht op het wa­ter. Mar­gi­na­le Uit­ge­ve­rij ’t Ho­ge Wo­ord, Bak­hui­zen 1998
  8. Hai­ku: Een vier­kant­je zon. Tweede bloem­le­zing van Ne­der­land­se en Vlaam­se hai­ku. Kai­ros, Soest 1984
  9. Naar ro­zen ki­jken. Haiku’s van Mar­cel Smets vzw Hai­koe-kern Ant­wer­pen z.j.

Quel­le: Re­gen, Zen­Le­ven Herbst 2020