Gehmeditation

Von Myo­ko Su­igen Sint

Me­di­ta­ti­on in Aktion
Za­zen, das Sit­zen in Me­di­ta­ti­on, bie­tet ei­ne ein­ma­li­ge Ge­le­gen­heit, um den Geist voll­stän­dig zur Ru­he kom­men zu las­sen. Dies ge­schieht na­tür­lich nicht im­mer: Jede/r, die/der re­gel­mä­ßig me­di­tiert, weiß, dass die Ge­dan­ken manch­mal dann noch schnel­ler ro­tie­ren, als wenn man in Be­we­gung ist. Aber es kann ge­lin­gen. Du kannst es nicht ein­fach tun. Aber, wenn du dei­ne vol­le Auf­merk­sam­keit für ei­ne län­ge­re Zeit auf dei­nen Atem rich­test ( z. B. das Zäh­len oder Be­ob­ach­ten dei­nes Atems), dann kann es ge­sche­hen, dass al­les an­de­re weg ist und letzt­end­lich auch dei­ne Übung ver­schwin­det: Der Geist ist voll­kom­men zur Ru­he ge­kom­men und du sitzt in tie­fer Versunkenheit.
Es ist ge­fähr­lich, die­se Ver­sun­ken­heit als das Ziel von Za­zen an­zu­se­hen. Wenn du auf dei­nem Kis­sen sitzt, ist je­des Ziel ein Hin­der­nis. Aber es ist auch rich­tig, wenn man sagt, dass Za­zen die Mög­lich­keit zur to­ta­len Ver­sun­ken­heit gibt.

Me­di­ta­ti­on in Ak­ti­on bie­tet dir ei­ne an­de­re Mög­lich­keit, und zwar ei­ne Hand­lung in voll­kom­me­ner Hin­ga­be aus­zu­füh­ren, so dass du dar­in „ver­schwin­dest“. Das ist mehr als Auf­merk­sam­keit. Wenn du mit Auf­merk­sam­keit läufst, dann ist da noch im­mer ein „Ich bin es, die geht.“ Wenn du ganz im Ge­hen ver­schwin­dest, gibt es kei­ne „Ge­he­rIn“ mehr. Es gibt nur noch „Ge­hen“.

Geh­me­di­ta­ti­on (in der Zen-Spra­che „Kin­hin“) gibt dir die Mög­lich­keit, das zu er­fah­ren. Man kann es im Prin­zip mit je­der Hand­lung üben, al­ler­dings ist ge­ra­de das lang­sa­me Kin­hin da­für sehr ge­eig­net. Du hast kei­ne Hilfs­mit­tel da­für nö­tig, du brauchst an nichts zu den­ken und die Lang­sam­keit hilft sehr.
Auch das „Ver­schwin­den“ in ei­ne Hand­lung kann du nicht „tun“. Das „Ver­schwin­den“ kann nur spon­tan pas­sie­ren. Am bes­ten be­ginnst du mit ei­nem „An­ker“, ei­ne hilf­rei­che Übung, die du bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad durch­füh­ren kannst.

An­wei­sun­gen für das lang­sa­me Kinhin
Beim Kin­hin lie­gen die auf­ein­an­der ge­leg­ten Hän­de auf dem Son­nen­ge­flecht. Das führt von selbst zu ei­ner be­stimm­ten Ru­he und ei­nem Nach-In­nen-Ein­keh­ren, ge­nau­so wie die Hand­hal­tung im Zazen. 
Lang­sa­mes Kin­hin ver­bin­dest du im­mer mit dei­nem Atem. Die Ein­at­mung be­ginnt, wenn ein Fuß sich vom Bo­den ge­löst hat. Die Aus­at­mung be­ginnt so­bald die­se Fer­se den Bo­den wie­der be­rührt. Die Aus­at­mung dau­ert so­lan­ge du den Fuß ab­rollst, dein Ge­wicht auf die­sen Fuß ver­la­gerst und den an­de­ren Fuß an­hebst. Erst wenn auch die Ze­hen die­ses Fu­ßes nicht mehr den Bo­den be­rüh­ren, be­ginnt die Ein­at­mung. Die Aus­at­mung ist da­durch län­ger als die Ein­at­mung. Wenn du re­gel­mä­ßig die Geh­me­di­ta­ti­on durch­führst, geht die Atem­be­we­gung wie von selbst. Du kannst, wie im Za­zen, den Atem als An­ker wäh­len, aber ich emp­feh­le es dir nicht per se.
Ich ge­be drei wei­te­re Übungs­vor­schlä­ge für das Gehen.

In der ers­ten Übung rich­test du dei­ne Auf­merk­sam­keit stets auf die Fuß­soh­le, die du auf­setzt: Füh­le, wie sie den Bo­den be­rührt, von der Fer­se bis zu den Ze­hen und dann wie der Fuß das gan­ze Kör­per­ge­wicht trägt. Da­nach rich­tet sich dei­ne Auf­merk­sam­keit auf den an­de­ren Fuß, der sich nun absenkt.

Bei ei­ner Va­ria­ti­on da­von rich­test du dei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit auf ei­nen Fuß: Be­ob­ach­test, wie als ers­tes die Fer­se den Bo­den be­rührt, dann der Rest des Fu­ßes; wie das Ge­wicht sich zu­neh­mend auf den Fuß ver­teilt, bis er den gan­zen Kör­per trägt; und dann, wie sich das Ge­wicht lang­sam ver­min­dert, so dass die­ser Fuß sich letzt­end­lich ganz vom Bo­den ge­löst hat und sich nun oh­ne tra­gen­des Ge­wicht durch den Raum bewegt.
Ei­ne drit­te Übung rich­tet sich nicht auf die Fü­ße son­dern auf dei­nen Bauch, das Zen­trum (dein Ha­ra oder Tan­ti­en). Stell dir vor, dass du gehst, in­dem du das Zen­trum nach vor­ne schiebst. Ich las ein­mal ir­gend­wo die An­wei­sung: Lau­fe als ob du ei­ne klei­ne Kar­re mit dei­nem Bauch vor dir her­schiebst. Du wirst mer­ken, dass sie sich nicht ge­ra­de­aus ver­schie­ben lässt. Sie macht ei­ne Zick­zack-Be­we­gung, so wie die Fi­gur auf der Zeich­nung links.
Und sie ist auch nicht im­mer in Be­we­gung: Wenn du auf ei­nem Fuß stehst, dem Um­schlag­punkt des Zick­zack (sie­he die schwar­zen Punk­te in der Fi­gur), steht das Zen­trum still.
Pro­bie­re es ein­mal aus!

Zum Schluss kannst du dei­ne Auf­merk­sam­keit noch auf die ge­sam­te Kör­per­be­we­gung rich­ten. Das ist schwie­ri­ger als die ers­ten drei Übun­gen, denn das ist ein nicht so star­ker An­ker. Du wirst dir dann von al­lem des­sen be­wusst, was sich in dei­nem Kör­per ab­spielt, oh­ne dei­ne Auf­merk­sam­keit dau­er­haft auf eins zu rich­ten: Die Atem­be­we­gung, die Fü­ße, die Hän­de auf dei­nem Son­nen­ge­flecht.… Al­les was sich prä­sen­tiert, siehst du und lässt es wie­der los.

Ge­nau­so wie bei der Sitz­me­di­ta­ti­on wirst du mer­ken, dass du durch Ge­dan­ken ab­ge­lenkt wirst. Dann ge­he bit­te da­mit ge­nau­so um: Wenn du das merkst, gehst du zu der Auf­ga­be zu­rück, die du ge­wählt hast. Und ge­nau­so wie bei der Sitz­me­di­ta­ti­on kann es pas­sie­ren, dass das, was erst lang­wei­lig war, stets in­ter­es­san­ter und in ge­wis­sem Sin­ne in­ti­mer wird. Die gan­ze Auf­merk­sam­keit auf die Fuß­soh­len oder auf das Zen­trum, das sich ver­schiebt. Und dann, oh­ne dass du es be­wusst an­ge­strebt hast, ist die Ge­he­rIn auf ein­mal in dem Ge­hen verschwunden.

Viel Spaß dabei!

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­ria Fröhlich)

Quel­le: Loop­me­di­ta­tie, Zen­Le­ven Früh­jahr 2020