Hans Red­din­gi­us (ge­bo­ren 1930) lern­te in den sieb­zi­ger Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts die ja­pa­ni­sche Vers­form des Hai­ku ken­nen und war von ihr ge­fes­selt. Er ist schon vie­le Jah­re ak­ti­ves Mit­glied des nie­der­län­di­schen Hai­­ku-Zir­kels, auch war er sie­ben Jah­re lang lei­ten­der Re­dak­teur der nie­der­län­di­schen Ab­tei­lung der nie­­der­län­­disch-flä­­mi­­schen Hai­­ku-Zei­t­­schrift Vu­urs­teen (Feu­er­stein). Seit 1998 prak­ti­ziert er Zen, un­ter an­de­rem in Retre­ats auf Noor­der Po­ort. Er nimmt sich der Hai­­ku-Ru­­brik in Zen­le­ven an.

Wind

Meis­tens weht es. Manch­mal nicht, manch­mal sacht, manch­mal kräf­tig und manch­mal ver­hee­rend. Du weißt nicht, wo­her der Wind kommt – kommt er über­haupt ir­gend­wo her? Der Wind ist ein­fach da. Aus al­len Rich­tun­gen, die du dir den­ken kannst, kann der Wind kom­men. Der Wind ist wie un­ser Le­ben, das kommt, vor­bei­zieht, wie­der ver­geht und zu­rück­kommt im­mer wie­der, im­mer wie­der neu.

Über­all das Ried
in ei­ne Rich­tung gebogen –
wo­hin geht der Wind?
wo­hin geht der Wind? An­ton Ge­rits
1

Wenn du fühlst und siehst und hörst, dass es weht, weißt du gleich­zei­tig auch, dass al­les in Be­we­gung ist und sich verändert.

Als der Mond aufging,
weh­te der Abend­wind durch das Gras,
und rief den Kuckuck.
und rief den Ku­ckuck.Shi­ki
2

Manch­mal ist der Wind stö­rend, beunruhigend:

Nie­der­ge­weht;
auf­ge­rich­tet, umgeblasen –
Vogelscheuche.
Vo­gel­scheu­che.Bu­son
2

Es scheint, als ob der Wind über­all ist, da­durch be­grei­fen wir, dass al­les, was exis­tiert, mit­ein­an­der ver­bun­den ist.

Im Wind treibend
we­hen zwei Distelflusen
über die Bahngleise.
über die Bahn­glei­se.Bert Wil­lems
3

Wenn der Wind sich rührt,
zieht er über´s Meer
ei­ne blit­zen­de Lichtspur.
ei­ne blit­zen­de Licht­spur.Gien de Smit
3

Manch­mal ver­ur­sacht der Wind ein Dra­ma; wenn es zum Bei­spiel stürmt, müs­sen wir uns vor dem Wind du­cken. Dar­über wur­den vie­le Hai­kus ge­schrie­ben. Aber oft sorgt der Wind auch für kur­ze Glücksmomente.

In der Nachmittagssonne
das Haar mei­ner Enkelin
im Sommerwind
im Som­mer­windHans Red­din­gi­us
4

Zum Schluss noch eins von Shi­ki, das des­halb in­ter­es­sant ist, weil der nam­haf­te Hai­­ku-Ex­­per­­te R.H. Bly­th ge­nau die­ses zur Un­ter­stüt­zung sei­ner Auf­fas­sung, dass Shi­ki nicht re­li­gi­ös sei und des­halb im We­sen an der Ober­flä­che blie­be, her­an­zieht. Für mich ist das ein ech­tes Zen-Hai­­ku. Was denkst du?

Der Herbst­wind rauscht;
für mich gibt es da kei­ne Götter,
kei­ne Buddhas.
kei­ne Bud­dhas.Shi­ki
2

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­rie Loui­se Linder)

Quel­le: Wind, Zen­Le­ven Herbst 2019

[1] aus: Hai­ku Een klei­ne re­gen­boog. Bloem­le­zing van Ne­der­land­se en Vlaam­se hai­ku. Sa­men­ge­steld door W.J. van der Mo­len, Ga­by Blei­jen­bergh en Bob Ver­strae­te. Kai­ros, Soest 1993.
[2] aus: Hai­ku Een jon­ge ma­an. Ja­pan­se hai­ku van de vi­jf­ti­en­de ee­uw tot he­den. Keu­ze, in­lei­ding en ver­ta­ling J. van Too­ren. Zes­de, her­ziene druk Meu­len­hoff, Ams­ter­dam 1983
[3] aus: Hai­ku Een vroe­ge pluk. Bloem­le­zing Ne­der­land­se en Vlaam­se hai­ku, sa­men­ge­steld door Si­mon Busch­man. Kai­ros, Soest 1981
[4] aus: In een ou­de schuit. Boekscout, Soest 2017