Prabhasa Dharma Roshi war eine wunderbare Zen-Meisterin. Das zeigt sich in der Biographie, die Jiun Roshi kurz nach ihrem Tod verfasste und auch in den Erinnerungen ihrer Schüler*innen an anderer Stelle in dieser Ausgabe von ZenLeven. Das folgende Interview von Myoko mit Jiun Roshi hat einen anderen Schwerpunkt: Wie es war, unter ihrer Leitung im Training zu sein und mit ihr zu leben.
Leben mit Roshi Prabhasa Dharma
Wie hast du Prabhasa Dharma kennen gelernt und wie bist du zu ihrer Schülerin geworden?
1982 war ich in Sri Lanka im Urlaub. Dort kam ich erstmalig mit dem Buddhismus und mit buddhistischen Menschen in Berührung, und mir fiel auf, dass die Menschen furchtbar nett waren, voller Offenheit, mit freundlicher Miene und großer Bereitschaft auf andere zugingen. Als ich heimkehrte, sprach ich darüber mit Freundinnen, und zwei von ihnen, die selbst Zen übten, rieten mir, das auch zu tun. Also begann ich mit einem Einführungskurs bei Rieks Groenhout im Kosmos, Amsterdam. Eines Tages hing dort die Ankündigung einer Lesung von einer Zen-Lehrerin aus Amerika, Gesshin Osho hieß sie damals noch, und die Freundinnen nahmen mich mit dorthin. Das war im Oktober 1982.
Die Lesung hat mich berührt, vor allem die Roshi, durch ihre Erscheinung, durch die Art und Weise, wie sie Fragen beantwortete. Zweierlei machte einen besonders tiefen Eindruck auf mich, was mir zeigte, dass es noch etwas mehr als das Sichtbare gibt. Sie sprach über das Sterben und dann ließ sie sich auf einmal fallen, als ob sie tot wäre. Das machte sie auf eine so außergewöhnliche Art und Weise – das bewirkte etwas in mir, schwer zu sagen, was genau. Der zweite Moment war, als sie während ihrer Lesung etwas demonstrierte, indem sie die Klappern aufeinander schlug. Auch das machte etwas mit mir. Nochmals: Ich weiß nicht genau, was, aber beides führte dazu, dass ich in Kontakt mit ihr bleiben wollte.
Wenig später gab sie ein Sesshin in Oostenrijk, und da gingen wir zu dritt hin. Das Zentrum war noch im Bau befindlich. Es war November, ziemlich kalt, die Heizung funktionierte noch nicht und es war uns wirklich zu kalt zum Sitzen. Für mich war es besonders schlimm, weil ich große Schmerzen beim Sitzen hatte. Ich hatte noch kaum gesessen, und dann auf einmal ein Sesshin, es war echt schlimm. Voller Hass schaute ich den Meditationsleiter an: Warum siehst du nicht, dass ich Schmerzen habe, warum läutest du die Glocke nicht? Aber ich war so diszipliniert, dass ich still gesessen habe, wie es sich gehörte, glaube ich.
Zu jener Zeit waren wir alle drei noch starke Raucherinnen, und damals durfte man das noch überall drinnen. Wir saßen dann irgendwo auf dem Flur auf einem Bänkchen, in Decken gewickelt, um zu rauchen, so haben wir das Sesshin einigermaßen überstanden.
Die Vorträge der Roshi waren natürlich in deutscher Sprache dort in Oostenrijken. Ich konnte nicht immer folgen, aber es ging stets um Dinge, die mich sehr stark ansprachen: wenn sie über das wahre Selbst, über die Buddha-Natur sprach. Am zweiten oder dritten Tag durfte ich zu einem persönlichen Gespräch mit ihr gehen und sie gab mir gleich ein Koan: „Was ist dein wahres Selbst, wenn du eine Rose siehst.“ In den nachfolgenden Gesprächen habe ich mit ihr daran gearbeitet, aber es kam natürlich noch nicht sehr viel dabei heraus. Als ich zum letzten Mal bei ihr war, wollte sie mir am Ende die Hand geben, als wolle sie sagen: “Bis demnächst.“ Ich zögerte etwas und antwortete: „Ich habe ganz kalte Hände.“ Sie darauf: „Kalte Hände sind nicht schlimm, das bedeutet, dass du ein ganz warmes Herz hast.“ Tja, da hatte ich meine Seele verkauft, ich dachte, das ist es, das muss ich tun.
Von dem Moment an wusste ich, dass ich Vollzeit bei ihr im Training sein wollte. Wir waren auch ziemlich schnell deswegen im Kontakt. Aber es ging nicht von jetzt auf gleich. Ich hatte einen Job, eine eigene Wohnung und zwei Katzen. Und die Roshi hatte auch nicht sofort Platz für mich. Sie war damals noch nicht lange fort von ihrem Meister Sasaki Roshi und hatte selbst noch keine eigene Wohnung. Sie hatte ein Zimmerchen bekommen im International Buddhist Meditation Center, der Laienabteilung des Vietnamesischen Tempels in Los Angeles. Später bin ich oft dort gewesen, daher kenne ich es recht gut. Es war ganz einfach und auch sehr schmutzig, das ganze Haus voller Kakerlaken. Dabei war sie unfassbar reinlich. Sie musste das Gemeinschaftsbad benutzen, und das war wirklich total verdreckt. Bevor sie es benutzte, putzte sie es gründlich, aber es war ein aussichtsloser Kampf.
Nach dem ersten Sesshin in Oostenrijk legte ich sofort los; ich machte so viele Sesshins wie möglich – zumindest, wenn ich von meiner Arbeit frei gestellt wurde, was nicht immer gelang. Ich opferte alle meine Urlaubstage dafür; der Urlaub auf Sri Lanka war für Jahre mein letzter gewesen. Zum Glück bekam ich viel Unterstützung von meinem Chef. 1984 war das erste Wüsten-Retreat. Es dauerte sieben Wochen, und ich bekam fünf Wochen Urlaub.
Anfang 85 hatte ich meine Wohnung verkauft, meine Katzen untergebracht und gab meinen Job auf. Ab Anfang August 85 hatte die Roshi in der Nähe ihrer Eltern eine Wohnung gemietet, wo ich dann auch unterkommen konnte, zusammen mit einer Betreuerin ihrer Eltern. Bis dahin habe ich zunächst auf Theresiahoeve gewohnt. In jenem Sommer reiste ich schon mit der Roshi durch Europa, wo sie Sesshins in den Niederlanden, Deutschland und England leitete; später kam Spanien noch dazu. Danach ging ich nach Amerika.
Wie war dein Training bei ihr?
Es war außerordentlich intensiv, schon allein durch die Tatsache, dass ich sehr viel Zeit mit ihr verbrachte. Zuerst saß ich in dem Appartement in der Nähe ihrer Eltern, und sie wohnte in dem Zimmer im IBMC, etwa eine halbe Autostunde entfernt. Sie kam ihre Eltern oft besuchen und ich wurde oft abgeholt und ins IBMC mitgenommen. Sie kannte sich sehr gut in der Welt des Buddhismus und auch im Yoga aus, sie ging in die Tempel und das Yoga-Zentrum, und ich wurde überall hin mitgeschleppt. Ich glaube, sie fand es auch schön, mit einer Assistentin dort zu erscheinen, sie bekam natürlich dadurch auch Format.
Später hatte sie ein eigenes Appartement, wo dann auch ich wohnte. In jener Zeit haben wir mit der Zeitschrift Zen begonnen. Ich hatte dort ein kleines Schlafzimmer, das auch als Büro diente. Ich führte den Haushalt, kochte oft für sie, war ihre Sekretärin und ihr Chauffeur. Die Organisation der Sesshins, die Verwaltung, die Herstellung von Flyern, all das lag auf meinem Schreibtisch. Sie machte nur die letzte Kontrolle. Das alles gehörte zum Training, es war das Training.
Sie war unglaublich streng. Sie war selbst bei Sasaki Roshi im Training gewesen, und das war, glaube ich, streng im traditionellen japanischen Sinne, d.h. du unterwirfst dich deinem Meister vollständig. Und so trainierte sie auch mich. Das bedeutete, immer ja und Amen sagen, tun, was gesagt wurde, keine Fragen stellen. Und das in verschiedenen Bereichen: es wurde gesagt, wie du kochen solltest, wie du putzen musst, wann du frei hast oder auch nicht. Wenn du gerufen wurdest, musstest du augenblicklich zur Stelle sein. Der ganze Tag, alle vierundzwanzig Stunden, war reglementiert.
Für mich war das gewissermaßen einfach, denn ich stammte aus einer Familie, in der es nicht unbedingt streng zuging, aber wir hatten klare Regeln und eine bestimmte Disziplin. Insofern fiel es mir nicht schwer, mich so zu verhalten, ich fühlte mich dadurch auch nicht unterlegen. Wir gerieten aber auch aneinander. Ich war manchmal tagelang bockig, da war ich gut drin, und die Roshi auch. Nicht selten wollte sie einfach mal allein gelassen werden, dann war ich Luft für sie. Ich kam zum Beispiel in ihr Zimmer, sie saß hinter ihrem Schreibtisch und arbeitete, ich sagte etwas, und sie reagierte überhaupt nicht. Das war schrecklich für mich, ich versank dann im Erdboden. Wenn ich keinen Kontakt zu ihr bekam, fand ich das sehr schlimm. Manchmal hielt das zwei oder drei Tage an. Es kam mir wie eine Strafe vor, obwohl es nicht immer daran lag, dass ich in ihren Augen etwas nicht richtig gemacht hatte.
Dachtest du nie: schau dir das doch mal genau an?
Doch, das habe ich mehrere Male gedacht. Ich hatte natürlich kein Geld, war also von ihr abhängig. Aber ich hatte wohl immer eine Rückfahrkarte (das musste ich als Ausländerin, weil ich noch in den Niederlanden gemeldet war), konnte also zurück in die Niederlande, und als ihre Fahrerin hatte ich auch den Schlüssel zu ihrem Auto. Ich habe mir das Szenario ganz oft in Gedanken ausgemalt: Zum Flughafen fahren, die Roshi wissen lassen, wo das Auto steht, und nichts wie weg. Aber ich habe es nicht getan. Ich konnte nicht. Es kam immer wieder der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich sie dann im Stich ließ, und das konnte ich nicht, denn ich wusste, dass ich ihr eine große Hilfe war, und dass ich ihr auch viel bedeutete. Das ließ sie mich auch wirklich spüren, trotz aller Strenge.
Sie konnte auch sehr nett sein. Sie konnte zum Beispiel plötzlich sagen: „Hast du Lust, ins Kino zu gehen?“ Und dann gingen wir zusammen ins Kino. Sie ging auch gern essen und nahm mich immer mit. Das war für mich damals etwas ganz Besonderes. Sie nahm auch gern Thich Man Giac mit in ein Koreanisches Restaurant, da war er ganz versessen drauf.
Unsere Zen-Zeitschrift wurde damals noch mit der Schreibmaschine gemacht, und wenn etwas verbessert werden musste, ging das mit Tipp-Ex oder mit Schneiden und Kleben. Eines Tages — ich werde es nie vergessen — kam sie strahlend mit einem großen Karton in mein kleines Büro und sagte: „Ich habe etwas für dich! Ich habe ein Geschenk für dich!“ Sie hatte eine elektronische Schreibmaschine mit ersten Computer-Elementen gekauft, mit einer Diskette und einem winzigen Bildschirm, auf dem man sehen konnte, was man gerade tippte. So konnte man schon eine Menge auf digitalem Wege verbessern. Sie fand das sichtlich so schön, dass sie mir das für meine Arbeit schenkte. Sie schenkte sehr gern. Sie beschenkte ihre Eltern, mich, Man Giac und auch Sasaki Roshi, auch wenn sie nicht harmonisch auseinander gegangen waren. Immer nur schenken, schenken, schenken. Das machte ihr ganz große Freude, glaube ich.
Kannst du Momente im Training nennen, in denen dir auf einmal etwas klar wurde?
Ja … solche Momente gab es während der Sesshins, aber ich weiß nicht, ob ich das hier sagen soll, das sind Dinge, die in der Meditation und im Sanzen geschehen.
Aber ich kenne wohl noch viele andere Momente. Ich durfte am Anfang nicht sagen, wenn ich nicht einer Meinung mit ihr war. Als wir zum Beispiel mit der Zen-Zeitschrift anfingen, war das für mich keine große Sache, denn ich hatte in meinem Beruf regelmäßig Bücher gemacht. Aber die Roshi fand, dass ich es anders machen sollte. Und ich sagte: „Roshi, ich weiß schon, wie ich das machen muss.“ Sie schrie: „Neiiin!!! Hier ist nur Eine, die denkt, und das bin ich!“ Also widersprach ich ihr nicht mehr, bis sie eines Tages in der Küche stand und kochte. Ich stand daneben und wir begannen über etwas zu sprechen – worüber weiß ich nicht mehr – aber ich dachte anders darüber als sie. Auf einmal fühlte ich eine starke Energie in mir, alles kam hoch und ich warf es ihr an den Kopf, sagte ihr, was ich davon hielt. Sofort darauf die Roshi: „Das sagst du nicht zu mir. So sprichst du nicht mit mir.“ Aber ich spürte immer noch die Energie, und die machte mir Mut, weiter zu machen. „Ja, aber Roshi, warum darf ich nicht sagen, was ich davon halte?“ Darauf sie: „Du darfst mir alles sagen, es muss nur vom richtigen Ort herkommen.“ Da begriff ich, was sie meinte. Wenn ich ihr widersprechen wollte, dann immer aus meiner Empörung, aus meinem Ärger heraus, und eigentlich ging es darum und nicht um das, was ich von einer Sache hielt. Das war auf einmal ganz klar. Und das eröffnete viel Raum. Von da an wusste ich, dass ich alles zu ihr sagen konnte, aber ich musste mir dessen bewusst sein: wo kam es her, wie sollte ich es sagen, wie ausdrücken. Und das galt natürlich nicht nur für sie, sondern für alle, mit denen ich sprach.
Dein Training bei ihr war ganz anders als die Art und Weise, wie du die Unsui hier auf Noorder Poort trainierst. Hast du das Gefühl, dass dadurch auch etwas verloren gegangen ist, dass es etwas gibt, das weniger Chancen bekommt, sich zu entwickeln?
Ich weiß es nicht. Kurz bevor die Roshi starb, das war 1999, wurde ich Zen-Meisterin, aber weil sie nur einige Male im Jahr nach Noorder Poort kam, trainierte ich die Bewohner*innen eigentlich ab 1996. Und das verlief anfangs wie bei der Roshi, also sehr streng. Ich stand tatsächlich über den Menschen und hatte auch alle möglichen Regeln. Ein Beispiel: Wenn die Roshi mit aß, dann durftest du nicht nochmals zugreifen, bevor sie das getan hatte oder sie das Zeichen dazu gegeben hatte. Also hatte auch ich diese Regel, denn ich war hier die Lehrerin. An solche Dinge muss ich immer mal wieder zurückdenken: Was steckt darin? Ist das nötig oder nicht? Und ich finde das schwierig, denn da steckt etwas drin, was ich für sehr gut halte: Der Lehrer oder die Lehrerin gibt dir so die Chance, Respekt vor anderen zu entwickeln. Und ich finde es sehr wichtig, dass du das in der Beziehung lernst, damit du das schließlich für alles und jeden gebrauchen können wirst. Damit du zulassen kannst, Respekt vor jemandem zu haben, was nichts über deinen eigenen Wert aussagt oder du dadurch über oder unter jemandem stehst.
Aber Respekt vor jemand anderem zu haben, bedeutet nicht, ihm oder ihr sklavisch zu folgen. Ich denke, dass es ursprünglich auch darum ging, was aber unter Einfluss der Kultur zu einem autoritären Geschehen geworden ist, welches m.E. nicht nötig ist. Ich denke, dass es auch anders geht, finde es zugleich aber auch sehr schwierig, dies zu vermitteln. Ich glaube, ich bin diesbezüglich auch nicht perfekt.
Ein Beispiel: Ich leitete kürzlich ein Zen-Wochenende, irgendwo anders. Es gab dort keinen Speisesaal, man füllte sich in der Küche den Teller und suchte sich einen Platz zum Essen. Ich saß dann einmal auf einer Bank mit einer Tasse Tee. Alle aßen und niemand kam auf mich zu, um zu fragen, ob ich vielleicht auch etwas essen wollte. Das empfand ich als merkwürdig. Es war am Samstag. Am Sonntag dachte ich: Ich versuche es noch einmal. Ich nahm nun auch keinen Tee und blieb stehen. Wieder nichts. Auch Menschen, die schon lange bei mir im Training sind, saßen wie gewohnt gemütlich beim Essen. Da dachte ich: eigentlich ist das auch logisch, denn ich habe das mit den Menschen auch nicht geübt. Und dann dachte ich: Wie soll ich das mit ihnen üben, ohne dass sie mich auf ein Podest stellen, höher setzen, denn das will ich nicht. Aber ich hätte es doch normal gefunden, wenn sie mich gefragt hätten: „Kann ich dir vielleicht einen Teller Suppe holen?“ Ohne mich höher zu stellen oder dass sie sich in ihrer Würde angetastet fühlen müssten.
Die Roshi selbst war bei Sasaki und Thich Man Giac im Training, die hast du beide gekannt. Gibt es große Unterschiede zwischen dem Rinzai Zen von Sasaki und dem vietnamesischen Zen von Man Giac?
Ich würde nicht vom Unterschied zwischen Rinzai und vietnamesischen Zen sprechen, sondern von dem gewaltigen Unterschied der beiden Meister.
Die Roshi war übrigens nicht bei Man Giac im Training, sie waren Kollegen. Sie studierten Texte miteinander, sprachen über Gedichte, tauschten sich intensiv miteinander aus. Die Roshi war auch immer sehr interessiert an der vietnamesischen Tradition, und er war wirklich ein buddhistischer Gelehrter. Er machte sie zur Zen-Meisterin, nachdem sie etwa zwei Jahre Kontakt hatten, aber sie war nicht seine Schülerin. Es war eine Gruppe von Freunden, nicht nur Man Giac, sondern auch Karuna Dharma vom IBMC und Maezumi Roshi zum Beispiel und noch anderen. Sie besuchten einander und nahmen gegenseitig an ihren Zeremonien teil.
Sasaki war nicht dabei. Er machte bei so etwas nicht mit. Er machte sein eigenes Ding, und that was it. Er war in gewissem Sinne absolut unzugänglich. Ich habe bei ihm an einem Wintertraining teilgenommen, neun Wochen lang. Man sah ihn dann nur als Meister im Sanzen-Raum und beim Teisho. Ich habe ihn auch ziemlich oft privat gesehen, weil die Roshi und er zusammen gingen, und da war ich dann dabei. Ich machte den Tee und saß auf dem Boden; sie saßen auf Stühlen. Denn ich musste immer niedriger sitzen als die Roshi, das war eine ihrer Regeln.
Ich habe Sasaki als einen wahrhaft erhabenen Koan-Meister erlebt. Damit will ich sagen, dass er nicht als Person im Sanzen-Raum sitzt. Der Kontakt, den man mit ihm über die Koans hat, ist in diesem Sinne kein persönlicher Kontakt. Er sitzt dort als „mind“, du kommst auch, auf andere Art und Weise, mit deinem „mind“ mit dem Koan, und die Begegnung ist manchmal ganz schief, weil du in deinem Denken ganz in der Dualität sitzt, er jedoch sitzt immer im „mind“, und das ist ein Phänomen, wirklich außergewöhnlich.
Die Roshi war auch so, und das hatte sie sicherlich bei ihm gelernt. Ich glaube, sie waren sich in dieser Hinsicht tatsächlich recht ähnlich. Ganz … tief, authentisch in diesem Aspekt der Nicht-Dualität. Ich selbst habe freilich bei keinem anderen Meister geübt, aber ich kenne Menschen, die bei anderen geübt haben und das hat mich in diesem Eindruck bestärkt. Ich habe in diesem Wintertraining nichts von sexueller Belästigung bemerkt, die damals wohl schon eine Rolle spielte. Ich sah ihn nur im Sanzen, und mir gegenüber hat er sich nicht unangenehm verhalten. Auch von der Roshi habe ich nichts darüber gehört. Ich weiß, dass sie wegen Unstimmigkeiten von ihm weggegangen ist, aber ich habe sie nicht nach den Gründen gefragt – das tat ich nicht.
Kannst du sagen, warum jemand ungeachtet großer Qualitäten sich doch so unangemessen verhalten kann? Leiden verursachen kann?
Mit größter Vorsicht würde ich sagen: das ist eine Gefahr, wenn man die Nicht-Dualität realisiert hat. Es besteht schon ein Risiko auf der Seite der Wahl: „Was ist es, bevor du weißt, was es ist?“ Es gibt da ja keine Merkmale, da ist etwas noch nicht gut oder schlecht, da ist noch kein Schmerz, kein Missbrauch. Die andere Seite, auf der es Merkmale gibt, ist ebenso nötig, die Seite von Gut und Böse, heilsam und nicht heilsam. Beide Aspekte der Wirklichkeit zusammen sind die eine Wirklichkeit. Ich denke, er hat sich unangemessen verhalten, weil er die andere Seite nicht genügend respektierte.
Zudem ist er in einer Kultur aufgewachsen, in der die Frau minderwertig ist. Und er hat dreißig, vierzig Jahre in einer Art sozialen Isolation gelebt. Schon in Japan, im Kloster, und als er 1962 in die USA ging, war er sofort der Meister und wurde auf Händen getragen. Bis an sein Lebensende sprach er kaum amerikanisch. Er hatte fast keinen Kontakt zu anderen Menschen außer seinen Schüler*innen. Er bekam kaum Feedback von anderen. Und wie ich vor ein paar Jahren begriffen habe, haben einige Schüler*innen, auch Mönche, die um sein Fehlverhalten wussten, dieses nicht nur vertuscht, sondern es ihm sogar erleichtert. Haben z.B. dafür gesorgt, dass er eine hübsche Inji bekam.
Ich habe ihn als absolut autoritär erlebt, fast demütigend. Manchmal auch der Roshi gegenüber. Nach ihrer ersten Chemotherapie (sie war da schon seit langer Zeit von ihm weg) fuhren wir eines Tages zurück nach Mount Baldy. Ich sehe es noch ganz genau vor mir. Ich nahm an einem Dai-Sesshin teil, und die Roshi besuchte ihn regelmäßig. Wir wohnten während des Sesshins im Gästehaus, das lag ganz unten am Berg, und Sasaki wohnte fast ganz oben auf dem Berg. Einmal ging die Roshi mit großer Mühe – die Chemotherapie hatte sie sehr geschwächt – ganz nach oben: Sie war zum Tee bei Sasaki eingeladen. Als wir oben ankamen, schickte die Inji sie weg, der Roshi konnte keinen Tee mit ihr trinken. Ich fand das unglaublich verletzend.
Und doch schätzte er sie auch. Einer der schönsten Momente war diesbezüglich sein letzter Besuch bei ihr. Sie war da schon sehr krank und lag meistens im Bett, aber zu dieser Gelegenheit stand sie auf und saß ihm im Rollstuhl gegenüber. Er nahm ihre Hand, fühlte den Puls und sagte: „Gesshin very strong. Oh Gesshin very strong.“ Es ging dabei nicht um körperliche Stärke, es ging um viel mehr. Das war wirklich ein Statement, das da aus ihm herausbrach.
Und spürtest du auch bei Thich Man Giac die Kraft der Erkenntnis?
Ja, der war spirituell auch sehr stark, auch sehr klar, denke ich. Thich Man Giac hatte gleichzeitig auch das Kind-Sein, die Unbefangenheit, das Lachen. Er konnte sich ausschütten vor Lachen über Dinge, bei denen ich mich fragte, worüber er denn eigentlich lachte. Die Roshi und er neckten sich auch oft. Er sagte beispielsweise etwas wie „you this or you that“ und zeigte mit dem Finger auf sie. Dann sagte sie: „Don’t point with your finger, we don’t do that in America.“ Und wenn sie dann nach seinem Finger griff und ihn wegdrückte, brach er in Gelächter aus.
Er war viel zugänglicher als Sasaki. Er war richtig nett, auch zu mir. Aber ich habe ihn natürlich in einem ganz anderen Kontext erlebt als Sasaki Roshi. Zu Sasaki Roshi ging ich als Schülerin, und für ihn war ich auch immer ganz klar die Schülerin von Prabhasa. Thich Man Giac habe ich vor allem privat kennen gelernt, wenn er und die Roshi sich gegenseitig besuchten.
Ist denn etwas von der vietnamesischen Tradition in unserer Sangha erhalten geblieben?
Oh ja, man kann sagen, die Weichheit, die dort mehr vorhanden ist, kommt aus der vietnamesischen Tradition. Zudem gab Thich Man Giac keine Sesshins. Im Tempel gab es auch kein gemeinschaftliches Sitzen, nur gelegentlich gemeinsames Rezitieren. Die Mönche meditierten allein in ihren Zimmern, auf dem Bett sitzend. Die Roshi führte als erste die Meditation für Besucher des Tempels ein, und das war Geh-Meditation. Für Sitz-Meditation gab es keine Ausrüstung, im Tempel befanden sich keine Matten oder Kissen.
Was ist das Wichtigste, was du von der Roshi gelernt hast?
Nun, das ist eine sehr schwierige Frage. Das ist natürlich nicht nur eines. Etwas, was ich nicht direkt von ihr gelernt habe, denn man kann es nicht von jemandem lernen, was ich aber für extrem wichtig halte, wie ich bei ihr gesehen habe, das ist: klar sein. Das hat etwas damit zu tun, dass man in seiner Mitte ist, fest im Geiste, wach. Das beinhaltet, dass du eine Situation überblickst. Dass du erkennst, was alles in einer Situation drin steckt und was damit verbunden ist, nicht nur in diesem, sondern auch einem folgenden Augenblick. Hier ist ein einfaches Beispiel, das ich buchstäblich von ihr gelernt habe: In den USA ist eine Dusche immer auch gleichzeitig ein Bad, und man kann den Wasserzulauf von oben nach unten verstellen. Wenn man geduscht hat und den Wasserkran oben belässt, bekommt der nächste, der unter die Dusche geht und den Kran öffnet, sofort einen Schwall Wasser ab. Wenn du also klar bist, verstehst du, dass du nach dem Duschen den Schalter wieder umlegen musst, damit das Wasser wieder unten herauskommt. Solche Sachen. Da war sie sehr gut drin.
Zum Schluss: Die Roshi hatte ein enormes Repertoire an Anekdoten und Witzen. Kannst du ein paar davon erzählen?
Viele Witze hatte sie von ihren katholischen Freunden.
Ein Beispiel: Ein paar katholische Nonnen kommen an die Kasse im Supermarkt. Zu ihren Einkäufen gehören auch ein paar Dosen Bier. Sagt der Mann an der Kasse: „Na, Schwestern, Bier, ist das denn ok?“ — „ Nein, nein,“ sagen die Nonnen, „es ist nicht so wie Sie denken, das Bier ist zum Haare waschen, davon bekommt man schöne Locken.“ Darauf nimmt der Kassierer ein Päckchen Salzstangen und sagt: „So, da habe ich noch ein paar Lockenwickler für Sie.“
Oder dieses: Ein paar Menschen gehen Fallschirmspringen. Bei der Einführung wurde gesagt: „Wenn der Fallschirm nicht aufgeht, betet zu Gott, dann öffnet er sich.“ Es war auch ein Buddhist in der Gruppe. Er springt aus dem Flugzeug und in dem Moment, als der Fallschirm aufgehen soll: nichts. Also folgt er der Anweisung und betet: „Bitte, Gott, hilf mir, lass den Fallschirm aufgehen.“ Und sofort geht er auf. Darauf ruft der Buddhist aus: „Danke, Buddha, für Gott!“ Und der Fallschirm geht wieder zu.
(aus dem Niederländischen übersetzt von Doris Behrens)
Quelle: Leven met Roshi Prabhasa Dharma, ZenLeven Frühjahr 2019