Ansprache vor Schüler*innen von Sri Swami Satchidananda zu Santa Barbara, am 29. Dezember 1987. Diese Ansprache von Prabhasa Dharma Zenji stammt aus dem Buch Buddha ben je zelf, das 2006 bei Asoka erschienen ist ( ISBN 90 5670 068 5). Das Buch ist zwar vergriffen, kann aber noch über Noorder Poort und über einige Webshops bezogen werden. Das Urheberrecht an der Ansprache liegt bei Asoka; wir veröffentlichen sie hier mit deren Erlaubnis.
Dieser Augenblick ist ein Geschenk
Dieses Retreat hat einen Namen mit doppelter Bedeutung: „The Golden Present“, was sowohl „Das goldene Geschenk“ wie auch „Die goldene Gegenwart“ heißen kann. Ist es ein Geschenk? Ist es ein goldener Augenblick? Ein Augenblick ist ein sehr vager Begriff. Wie können wir wissen, was ein Augenblick ist? Über welchen Augenblick sprechen wir? Wie lange dauert ein Augenblick? Wo kommt er her und wo geht er hin? Wie entsteht er und wie verschwindet er? Und: Entsteht er eigentlich wirklich und verschwindet er auch wirklich wieder? Eines ist sicher: Alles geschieht doch stets in dem jeweiligen Moment, oder? Ob wir uns nun der Zukunft zuwenden oder über die Vergangenheit nachdenken, wir tun das immer im jeweiligen Moment. Also gibt es in der Wirklichkeit weder Vergangenheit noch Zukunft. Diese existieren nur in unserem denkenden Geist, besser gesagt: in unserem Bewusstsein.
Ihr wisst, dass ich von der Zen-buddhistischen Tradition herkomme. Welchem spirituellen Weg ihr auch folgt, wann immer ihr nach dessen Entstehen schaut, kommt ihr stets an denselben Ursprung: den Ursprung von allem. Der Zen-Weg ist der Weg zurück zur Quelle. Zen bedeutet nichts anderes als ‚Meditation‘, allerdings eine besondere Form der Meditation. Im Zen versuchen wir, die Ebene des Bewusstseins zu realisieren, wo es noch keinen Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gibt. Dieser Zustand ist allzeit allgegenwärtig. Sobald wir uns das bewusst machen, entsteht ein Gefühl großer Erleichterung. Es befreit uns von der Vorstellung, dass wir etwas tun müssen, um dorthin zu gelangen oder es zu bekommen.
Hast du jemals versucht, einen Augenblick festzuhalten? Wahrscheinlich ja. Wir versuchen es ständig mit unseren Kameras und anderen technischen Geräten. Buddha hat einmal gesagt, dass das, was wir einen Augenblick nennen oder den Verlauf von Geburt und Tod, den 75. Teil einer Sekunde dauert! Kannst du dir vorstellen, wie lang oder wie kurz das ist? Einen Lidschlag kannst du einen Moment, einen Augenblick nennen.

Kalligrafie von Prabhasa Dharma Zenji
Ein Zen-Meister wanderte einmal mit seinem Schüler in den Bergen. Der Schüler wurde später auch ein berühmter Zen-Meister. Der Meister hieß Baso und der Schüler Hyakujo. Als sie einem Weg auf einem Berghang folgten, flog eine Schar Wildgänse über sie. Meister Baso schaute sich zu Hyakujo um und fragte: „Wo sind sie hingeflogen?“ Hyakujo antwortete: „Sie sind fortgeflogen, Meister.“ Da fasste Meister Baso Hyakujo bei der Nase und drehte sie um. Hyakujo schrie auf und Meister Baso rief: “Wo sind sie JETZT!“
Wo bist du JETZT, in diesem AUGENBLICK? Bist du in Santa Barbara? Bist du in Casa de Maria, sitzt du in dieser Kapelle? Wo seid ihr? Welchen dieser Momente, seit ich durch die Tür gekommen bin, bezeichnest du als du selbst?
Die meisten Menschen haben einen oder zwei Vornamen und einen Nachnamen. Und dann haben wir alle noch die anderen Namen, die unsere Freunde und unsere Familie uns geben. Ich habe viele Namen von meinen Schüler*innen bekommen – ich kenne sie nicht alle. Aber jeden Augenblick sind wir ein anderer, jeden Moment sind wir jeder andere. Wenn ich über DIESEN Moment spreche, bedeutet das: hier, jetzt, so wie es ist. Aber dann ist er schon wieder vorbei. Um ihn zu fassen oder sich seiner bewusst zu werden, müssten wir weiter in die Tiefe gehen. Wir müssten einen Bewusstseinszustand erreichen, in dem wir die schnell sich verändernden, aufeinander folgenden Augenblicke erleben und gleichzeitig den Raum, in dem sich nichts bewegt. Wir sind in einem Raum ohne Zeit und ohne Raum – auch wir, jetzt, hier! Sobald wir mit nichts beschäftigt sind, alles Erörtern eingestellt haben, alles einfach ist für einen einzigen Augenblick, dann sind wir sofort da. Wir fallen mit dem Atem des Universums zusammen, wo alles eine große Bewegung von ‚Einatmen und Ausatmen‘ ist. Wir steigen und fallen mit der gesamten Schöpfung, und für einen Augenblick verschwinden wir mit der ganzen Schöpfung. Von Moment zu Moment kommen wir also aus dem All heraus und kehren danach wieder dorthin zurück.
Es gibt einen Zustand, den wir „das Todlose“ nennen. In seiner manifesten Form ist dies jedoch die unbeständige, sich ständig verändernde Welt der Formen. Beständig ist allein der Prozess. Diesen Prozess nennen wir Dharma oder auch das kosmische Gesetz. Es bringt durch sich selbst die Geschehnisse hervor und löst sie wieder auf. Es ist also ein wunderbarer Raum, wie ein gewaltiger Mutterleib, aus dem alles hervorkommt und der alles wieder in sich aufnimmt. Dieses Alles, das in einem Augenblick erscheint, ist mein Selbst. Es ist dein Selbst, und obwohl hier mehr als hundert Köpfe emporragen, sind sie doch alle die Köpfe eines Körpers.
Wenn wir also über DIESEN Augenblick sprechen, müssen wir uns in einem Zustand von Gewahrsein und von Wachsein befinden. In diesem Zustand absoluten Gewahrseins sind wir nichts anderes als der kosmische Prozess selbst. In einem einzigen Augenblick enthüllt uns dieser Prozess blitzartig DIESEN Moment, so wie er ist. Nicht so, wie ich gern hätte, dass er ist, sondern so, wie er ist. Unmittelbar danach kehrt dieses Bewusstsein zu seinem Ursprung zurück, wo wir mit allem verbunden sind, und das ist ein Moment von Nicht-Wissen, von vollkommener Ruhe und Frieden. Dies ist unsere wahre Natur, und dort gibt es keinen Unterschied zwischen Form und Leere, Ruhe und Aktivität. Daher sagen wir im Zen: „Während wir nicht aktiv sind, sind wir aktiv; und während wir aktiv sind, sind wir nicht aktiv oder auch im Ruhezustand.“ Wenn wir ganz und gar still sind, wie bei der Meditation, können wir die dynamische, kosmische Aktivität erfahren, die wir in Wirklichkeit sind.
Schließlich gibt es in der absoluten Wirklichkeit weder Raum noch Zeit. Wir können also niemals verloren gehen. Wir wissen immer, wo wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen, in jedem Augenblick. Weil Hyakujo noch nicht so wach war, musste der Meister ihn an der Nase fassen und sie umdrehen, um ihm unmittelbar begreiflich zu machen, wo er war und wo die Gänse waren. Verstehst du?
Je tiefer unser Verständnis der Vergänglichkeit und der Veränderung ist, umso mehr sind wir satt und zufrieden mit dem, was wir haben und was wir sind. Wenn du einen Moment lang still bist und tief in dich selbst nach innen schaust, bis an die Wurzel, dann wirst du unmittelbar den vollkommenen Geistesfrieden, vollkommene Zufriedenheit erfahren. In diesem Augenblick hat das Suchen nach etwas anderem aufgehört. In diesem Augenblick ist es vollkommen, nicht wahr? Mache also weiter so. ES ist immer vollkommen! Manchmal bin ich auch nicht so vollkommen; wenn ich denke, begehre und mich vom Selbst abwende.
Erkenne die So-heit dieses Moments, jetzt gleich, bevor der begehrende, denkende, verlangende Geist kommt und sagt: „Nun ja, aber ich möchte das anders haben, wärmer, kälter, mehr Sonne, ich möchte mehr Geld haben.“ Das ist unser tägliches Sutra. Siehst du, wie wir über uns selbst lachen können? Wenn wir auf uns selbst schauen und uns dabei erwischen, müssen wir lachen. In dem Moment bist du schon frei. Du bist befreit, und das ist alles, was du brauchst. Nur DIESER Augenblick, es immer IMMER nur DIESER Augenblick.
Der japanische Zen-Meister Dogen fasste im folgenden Gedicht den Begriff Vergänglichkeit in Worte:
Der Mond reflektiert im Tautropfen,
geschüttelt vom Schnabel des Kranichs.

Design für Porzellanteller — Ende 19. Jahrhundert
In einem Augenblick, einem Bewusstseinsblitz, umfasst Dogen dieses gesamte große, kosmische Geschehen. Er entspringt einem Geist, der diesen Moment bewusst erlebt. Über diesen Geisteszustand verfügen wir alle. Er ist nichts Besonderes, nicht einzelnen Menschen vorbehalten. Aber ehe wir vollends erwacht sind, begreifen wir es nur, wenn wir es von anderen hören oder in solch einem schönen Gedicht lesen. Bei Meditations-Retreats kommen wir dem Zustands des Wach-seins ein wenig näher oder erreichen ihn sogar. Um zu dieser Wirklichkeit zu erwachen, die vollständig und vollendet ist, und um selbst zu so einem Gedicht zu werden.
In zwei Tagen beginnt das neue Jahr. Vielleicht brauchst du zum ersten Mal im Leben keine guten Vorsätze für dieses Jahr zu fassen. Damit brauchst du dich nicht mehr zu belasten. Mache das also bitte auch nicht, denn wenn du es trotzdem machst, verpasst du es wieder. Um DIESEN Augenblick zu erfassen, müssen wir unseren Geist frei machen, unabhängig, ganz und gar präsent und springlebendig! Wirklich leben schließt sterben mit ein. Niemand hört das gern, aber so ist es nun einmal. Wir brauchen es freilich nicht direkt sterben zu nennen, du kannst auch „verschwinden“ sagen, befreit werden, dich frei bewegen von diesem Augenblick zum nächsten. Es ist wie beim Schalten im Auto: Wenn du vom dritten in den vierten Gang schalten willst, musst du zuerst in den Leerlauf. Du befreist gleichsam den dritten Gang von seinem Dritter Gang-Sein. Indem er zuerst frei gemacht wird, kann er danach zum 4. Gang werden. Wir sehen die Null-Stellung , das Nicht-Sein, das Nicht-Geschehen nicht. Und doch müssen wir uns daran gewöhnen: Es gibt so ein Nichts, eine Nicht-Form, eine Leerheit.
Dieses Nicht-Sein, diese Leere müssen wir nicht zum Objekt machen. Wenn wir es dennoch tun, ist es keine Leere mehr. Leerheit an sich gibt es nicht; sie kann lediglich durch Form erfahren werden. Der letztendliche Modus von Form ist Nicht-Form, und daher können die Dinge sich verändern, daher ist jeder Augenblick ein ganz neues, frisches und atemberaubendes Entstehen des Universums. Jeder Augenblick ist ein kosmisches Geschehen, das nie und nimmer zurückkehren kann – nicht auf dieselbe Art und Weise. Aber wir müssen aufpassen, dass wir diesen ganzen Prozess nicht nach außerhalb unseres Selbst projizieren. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass dies die Aktivität unseres Bewusstseins ist, oder, wenn du so willst, des Selbst, des ursprünglichen Geistes, die Buddha-Natur, die Erleuchtung.
Eines Tages kam ein Schüler zu Meister Hyakujo und fragte: „ Meister, was ist das Erhabenste und Wunderbarste auf dieser Welt?“ – Hyakujo antwortete: „Allein zu sitzen hier auf diesem Berg.“ Er sprach nur über DEN Moment, in dem der Mönch ihm die Frage stellte. Verstehe Hyakujos Antwort nicht falsch, sie bedeutet nicht: „Oh, ich bin ein Einsiedler, hier ist mein Zuhause, weit weg von der Welt und ich bin sehr glücklich.“
Wie in China und auch den in meisten anderen Ländern üblich wurde Hyakujo nach dem Berg benannt, auf dem sein Kloster stand. Hyaku bedeutet “hundert“, und „jo“ ist eine Größenangabe. Du kannst es auch übersetzen mit „höchster Gipfel“. Jetzt bist du hier und jetzt musst du deinen höchsten Gipfel erkennen oder deinen höchsten Gipfel in dir selbst. Ob du nun hier im Zendo sitzt oder im Essraum oder auf der Toilette, du sitzt immer auf dem höchsten Gipfel. Du hast immer eine Gipfelerfahrung! Das bedeutet jedoch nicht, sich in Emotionen, Launen und Problemen zu verlieren.
Das Universum hat keine Probleme, die Wolken haben keine Probleme, Vögel und Blumen haben keine Probleme. Nur wir Menschen haben Probleme. Warum? Weil wir glauben, dass wir Probleme haben! Also schließen wir daraus, dass wir nur mit dem Denken aufhören müssen. Aber ach! Das ist unmöglich! Versuche es erst gar nicht! Lasse deine Gedanken einfach wie die Wolken am Himmel ziehen. Nimm sie wahr, lasse sie ziehen und bleibe bei deinem Atem an Ort und Stelle, statt mit deinen Emotionen und Gefühlen wegzulaufen. Und wenn du über etwas nachdenken musst, dann bleibe bei deinen Gedanken. Wenn du isst, bleibe beim Essen, einfach nur essen. Denke nicht darüber nach. Dann wirst du schnell nur das DIESES erfahren. Sage immer wieder zu dir selbst: „Nur das, nur jetzt.“ Sei dir dessen bewusst, dass du gehst, ohne darüber nachzudenken. So kommst du zum höchsten Gipfel. Vielleicht wirst du Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika! Nur das, und wenn du Präsident bist, ist es auch nur das! Ich hoffe, dass du das tust, denn wir haben einen guten Präsidenten nötig!
Genieße diesen Moment: es ist ganz und gar deiner. Mit all seiner Pracht und seiner Herrlichkeit, mit all seinem Elend und Schmerz, auch das ist ganz und gar deins. Wenn wir diesen Moment voll und ganz leben, ohne Einschränkungen und ohne etwas von uns selbst zurückzuhalten, dann sind wir bereit, vollends mit diesem Moment zu verschwinden, wenn er vorüber geht, und um wiedergeboren zu werden mit dem folgenden Moment. Dazu ist noch etwas anderes erforderlich, und zwar: keine Auswahl treffen. Wenn wir mit dem Auswählen liebäugeln, liebäugeln wir mit dem Verlieren. Wir müssen uns darin üben, keine Auswahl zu treffen und lernen, mit dem So-Sein, mit der So-Beschaffenheit der Dinge zu leben, dann werden wir glücklich sein mit dem, was ist. Das ist unsere Rettung aus dem Elend, das wir uns mit unserem von Begierden bestimmten Leben selbst schaffen. Meister Rinzai pflegte zu seinen Mönchen zu sagen: „Woran fehlt es dir in diesem Moment? Das einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen.“ Den ganzen Tag lang bewegt sich ein freier Mensch von innen nach außen und von außen nach innen mittels der sechs Tore seiner Sinne: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Bewusstsein. Das ist unsere wahre Natur: man kann auf diese Seite schauen, man kann auf jene Seite schauen, man kann dieses oder jenes tun. Die wahre Natur geht nie zur Neige. Du kannst „sie“ nicht aufbrauchen, denn du bist „sie“ selbst, auch jetzt. Selbst wenn du nicht ganz verstehst, wo wir sie verlassen haben, dann bist du immer noch „sie“, voll und ganz, zu hundert Prozent. Es mangelt dir an nichts.
Hyakujo sagte: „Das Wunderbarste auf dieser Welt ist, ganz allein auf diesem Berg zu sitzen.“ Wenn du das jetzt, in diesem Moment, erreichen kannst, dann hast du, vielleicht für einen Moment lang, die höchste Wahrheit erreicht, die höchste Wirklichkeit. Während ich hier auf dem Gipfel dieses Berges in völliger Freiheit sitze, frei von allen Sorgen, bin ich gleichzeitig die Frau von 56 Jahren, mit grauem Haar, mit diesen Kleidern am Leib und so weiter. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen dem Heiligen und dem Irdischen. Siehst du das? Das ist eins! Es gibt keinerlei Unterscheidung, keinen Konflikt; es gibt nichts zu erreichen, nichts zu reinigen. Die Schüler Jesu kamen einmal zu ihm und sagten: „Meister, lasst uns heute fasten und beten.“ Und Jesus antwortete: „Was habe ich getan, dass ich fasten und beten müsste?“ [2] Lebe jeden Moment so, dass du nicht um andere, bessere Momente zu bitten, nicht zu fasten und zu bereuen brauchst.
Der Punkt ist, dass wir nicht fehlen können. Ein Geist, der leer ist und der keine Vorstellungen hat, kann nicht fehlen. Nichts ist sicherer als ein leerer Geist, nichts ist sicherer als ein Niemand! So wie der Buddha einmal gesagt hat: „Wo niemand zu Hause ist, kannst du kein Paket abgeben.“ Es geht um unser Ego. Wenn wir ein Ego haben, werden allerlei Dinge auf uns zukommen und hängen bleiben. Wir hängen fest und haben DIESEN Moment versäumt. Dann haben wir uns selbst in Verwirrung gebracht. Es gibt keinen anderen, der uns in die Irre führt. Niemand kann uns herabsetzen oder in den Himmel heben, weil der ursprüngliche Geisteszustand von solchen Dingen frei ist. Wenn du sagst: „O, was bist du für ein Idiot!“ Was hörst du dann? „Oh, was bist du für ein Idiot!“ Es ist einfach ein Echo. Es hat keine Bedeutung. Du gibst ihm eine Bedeutung. Das gleiche gilt, wenn man sagt: „Oh mein Liebling!“ Das klingt genauso in meinen Ohren: dieselbe Stimme, derselbe Geist. Wenn du also tief genug gehst, sind alle Idioten deine Lieblinge! Der ursprüngliche Zustand des Geistes steht über jeglicher Dualität von Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Der ursprüngliche Zustand ist jetzt in diesem Moment präsent. Ihr besitzt ihn alle. Macht bitte von ihm Gebrauch.
Lächle, lächle, jeden Tag; das ist der Anfang. Lächle morgens so wie du deine Gesichtscreme auflegst. Zaubere ein Lächeln auf dein Gesicht, und schon fühlst du dich ein Stück besser. Du weißt ja, dass du ein Buddha bist, und Buddhas lächeln. Auch der erste, dem du begegnest, ist ein Buddha. Es spielt keine Rolle, welche Eigenheiten die Person hat, es spielt auch keine Rolle, in welcher Stimmung er oder sie ist. Du lässt dich nicht von Stimmungen leiten, du lässt dich nur von Buddhas, durch die Begegnung von Herz zu Herz leiten. Das einzige, was geschieht, ist, dass wir einander begegnen und wieder auseinander gehen. Begegnen und auseinander gehen. Das machen wir schon seit hundert Tausenden von Jahren. Wir sind uns alle schon einmal begegnet. Ich kenne euch sehr gut. Menschen sagen manchmal zu mir: „Ich kenne Sie!“ Und dann sage ich: „Ja, das stimmt.“ Ich weiß genau, dass euch das auch schon passiert ist: Du begegnest jemandem und denkst, dass du ihn oder sie schon einmal getroffen hast. Wir sind ihm oder ihr noch nie begegnet, aber wir sind auch noch nie auseinander gegangen. Wir sind allgegenwärtig, weil wir der ursprüngliche Geist sind. Es macht nichts, wie wir hinschauen, es wird doch immer alles gut. In der Essenz sind wir gut. Mache das wahr, lasse es sichtbar werden, strahle es aus.
Jetzt können wir anfangen, zu genießen und zu spielen. Das wünsche ich euch für dieses Retreat. Erinnere dich daran, auch wenn das Retreat wieder vorbei ist und du wieder zurückkehrst in widrige Umstände. Das menschliche Leben schließt nun ja auch Leiden mit ein. Wir begreifen jetzt freilich, dass es nichts gibt, das nicht davon betroffen ist. Es gibt etwas, das sich erhebt über Geburt und Tod, über Leiden, Schmerz und Freude. Es ist zeitlos, mühelos und kennt keinen Tod. Ich hoffe, du wirst das vollständig mit dem „Weisheitsauge“ sehen können. Sehen allein genügt jedoch nicht. Wir müssen uns dadurch auch verändern und das anschließend in DIESEM Moment leben. Das lernen wir in der Zen-Übung. Aber ich bin mir sicher, dass ihr das auch hier lernen könnt. Wenn du also beispielsweise die Aufgabe bekommst, die Halle zu fegen, dann fege einfach dich selbst weg! Fege dann so, dass das, was zurückbleibt, nichts anderes als „fegen!“ ist, und nicht mehr: „Ich fege gerade!“ Dann ist da kein einziges Problem, das verspreche ich dir, und wir werden keinen Krieg mehr auf dieser Welt führen. Der Friede sei mit euch.
(aus dem Niederländischen übersetzt von Doris Behrens)
Quelle: Dit moment is een geschenk, ZenLeven Frühjahr 2019