Ru­ben Naus (26) sitzt bei der Zen-Grup­pe in Ut­recht. Im Ju­ni war er zum ers­ten Mal bei ei­nem Zen-Wo­chen­en­de auf Noor­der Poort.

Was mache ich hier?

Ers­te Be­kannt­schaft mit Noor­der Poort

Nach ein­ein­halb Jah­ren Zen-Trai­ning am Mon­tag­abend, Schmö­kern auf der zenleven.nl-Website und lan­gem Hin- und Her­über­le­gen war es end­lich so­weit: Ich mel­de­te mich für ein Zen-Wo­chen­en­de auf Noor­der Po­ort an.

Als ich in die klei­ne Stra­ße in Wap­ser­ve­en ein­bog, war die Span­nung so stark: „Was wür­den das für Leu­te sein?“, “Komm‘ ich in ei­ne Sek­te?“, „Kann ich je­mals wie­der ge­hen?“, „Sie fin­den es si­cher schlimm, dass ich mit dem Au­to kom­me.“ Na­ja, bis­her nicht sehr Zen. Ich park­te das Au­to, ließ mei­ne Mut­ter wis­sen, dass ich an­ge­kom­men war, leg­te mein Han­dy weit weg und stieg aus. Auf­ge­regt ging ich vom Park­platz den Schil­dern “Gäs­te“ fol­gend den Weg ent­lang. Sie führ­ten mich zu ei­ner Tür, aber dort wur­de ich von ei­nem an­de­ren Schild auf­ge­hal­ten: “Retre­at – bit­te Ru­he“. War ich zu früh? Pa­nik! Auf dem ei­nen Schild stand „wei­ter­ge­hen“, auf dem an­de­ren „stopp!“ Was tun?
Ich dreh­te mich um und sah ei­nen an­de­ren Gast auf mich zu­kom­men. Ein al­ter, lä­cheln­der ru­hig wir­ken­der Mann zwi­schen 40 und 50. Er war ein­deu­tig nicht zum ers­ten Mal hier. Ich er­zähl­te Mark (so hieß er) von dem Schild und wir be­schlos­sen, ge­mein­sam um das Haus her­um­zu­ge­hen, um ei­nen an­de­ren Ein­gang zu fin­den. Im Gar­ten tra­fen wir glück­li­cher­wei­se je­man­den in Zen-Klei­dung, die uns hel­fen konn­te. Sie war sehr herz­lich und hat viel ge­lacht. Es fühl­te sich so­fort so an, als wür­de ich sie schon seit Jah­ren ken­nen. Es stell­te sich her­aus, dass das Stil­le-Schild zu früh auf­ge­hängt wor­den war, und sie nahm uns mit hinein.

Ich wur­de in mein Zim­mer ge­führt, wo ich mich dann aus­gie­big ein­rich­te­te. Da­nach muss­te ich Kaf­fee trin­ken und ein Schwätz­chen hal­ten. Das Ers­te, was mir auf­fiel, war, dass ich mit Ab­stand der Jüngs­te war. Nun war ich das von den Zen-Aben­den ge­wohnt: vie­le al­te Leu­te, aber es trug trotz­dem zu dem „Was- mach- ich- hier-Ge­fühl?“ bei.
Ich nahm mir ei­ne Tas­se Kaf­fee (oder hät­te ich Tee neh­men sol­len?! Na­ja, es war nun schon pas­siert) und setz­te mich auf die Couch im Wohn­zim­mer. Ich den­ke, ich ha­be mich gut ge­schla­gen, in­dem ich ver­sucht ha­be, mei­nen Kaf­fee auf ei­ne sehr zen­mä­ßi­ge Wei­se zu trin­ken und Au­gen­kon­takt so weit wie mög­lich zu ver­mei­den. Al­le müs­sen ge­dacht ha­ben: „Er sieht sehr er­leuch­tet aus!“ Ein Ge­spräch blieb mir erspart.

Beim Abend­essen ge­lang es mir bes­ser, mich mit mei­nen Tisch­nach­barn et­was zu un­ter­hal­ten. Die meis­ten wa­ren schon ein­mal hier ge­we­sen, und sie wirk­ten ziem­lich ent­spannt. Nach dem Es­sen gab es ei­ne Vor­stel­lungs­run­de und je­dem wur­de sei­ne Auf­ga­be bei der Haus­ar­beit er­klärt (ich muss­te die Toi­let­ten put­zen). Dann folg­te ei­ne Er­klä­rung, wie die Din­ge im Zen­do ab­lau­fen, und um halb acht war die ers­te Me­di­ta­ti­ons­pe­ri­ode. Ha! Das kann­te ich: 25 Mi­nu­ten auf ei­nem Kis­sen sit­zen, ei­ne Wei­le ge­hen und dann wie­der 25 Mi­nu­ten sit­zen. Und das Bes­te dar­an war: ich muss­te nichts mehr sagen!

Um zehn Uhr war es Zeit, ins Bett zu ge­hen. Ich er­in­ne­re mich, dass ich we­gen der Hit­ze und der An­span­nung nicht viel ge­schla­fen ha­be, aber auf je­den Fall war ich froh, si­cher in mei­nem Zim­mer zu sein.

Um sechs Uhr wur­den wir von Kyo­gen mit ei­nem Glöck­chen, mit dem er von Tür zu Tür ging, ge­weckt. Kyo­gen ist ei­ner der Be­woh­ner und an dem Wo­chen­en­de war er auch Ji­ku­ji­tsu (Me­di­ta­ti­ons­lei­ter). Ich sprang so­fort un­ter die kal­te Du­sche (ich weiß von mir selbst, dass im­mer die Ge­fahr be­steht, wie­der ein­zu­schla­fen), zog mich an und kam zum mor­gend­li­chen Me­di­ta­ti­ons­pro­gramm nach unten.
Der Mor­gen be­ginnt mit Tee und ei­ner hal­ben Reis­waf­fel, ge­folgt von Re­zi­ta­ti­on und Me­di­tie­ren. Der Rest des Ta­ges be­stand aus Sitz­me­di­ta­ti­on, Geh­me­di­ta­ti­on drin­nen, ze­re­mo­ni­el­lem Tee­trin­ken, Geh­me­di­ta­ti­on drau­ßen (oder ein­fach nur Ge­hen) und sol­chen Dingen.

Um neun Uhr gab es Früh­stück. Das Es­sen war im­mer köst­lich: so ein­fach und so le­cker! Und ich brauch­te jetzt nicht ein­mal mehr ein Ge­spräch zu führen.

Nach dem Früh­stück gab es die täg­li­che Haus­ar­beit, die ich per­sön­lich für ei­nen der bes­ten Tei­le des Pro­gramms hielt, und dann war man frei, Tee oder Kaf­fee zu trin­ken und Obst zu es­sen. Ich schnapp­te mir ei­ne Tas­se Kaf­fee und ei­ne Ba­na­ne und setz­te mich auf die Couch an mei­nen Platz vom Tag vor­her. Ich nahm ei­nen Schluck Kaf­fee, und noch ei­nen Schluck und noch ei­nen …. Und dann spür­te ich plötz­lich die Wir­kung von Kaf­fee! Über­rascht schau­te ich mir das schwar­ze Zeug an: ich wuss­te nicht, dass Kof­fe­in so stark ist! Na gut, nor­ma­ler­wei­se trin­ke ich viel mehr Kaf­fee, al­so wer­de ich das jetzt auch über­le­ben, dach­te ich.
Um elf gab es ei­nen Dhar­ma-Vor­trag1 von Ji­un Ro­shi, der Zen-Meis­te­rin. Sie sprach dar­über, war­um wir Zen prak­ti­zie­ren: nicht um für den Rest des Le­bens auf ei­nem Kis­sen zu sit­zen, son­dern um je­den Mo­ment in vol­len Zü­gen zu le­ben. Das vol­le Le­ben: in mei­nem Um­feld sagt man das eher an ei­nem Abend mit Trin­ken und Aus­ge­hen als an ei­nem ru­hi­gen Sams­tag­mor­gen. Wie kannst du das Le­ben voll ge­nie­ßen, wenn du nur sitzt, gehst und Tee trinkst? Ich wuss­te es nicht.

Ji­un Ro­shi führt ein per­sön­li­ches Gespräch

Lang­sam merk­te ich wäh­rend der Me­di­ta­ti­on, dass ich ziem­lich wü­tend war. Huch! Wut? Ich? Aber es war so: wü­tend, wenn je­mand ei­nen Feh­ler mach­te oder hus­te­te oder schluck­te oder laut at­me­te. Wü­tend, wenn ich wäh­rend der Geh­me­di­ta­ti­on hin­ter je­man­dem her­ging, der sei­nen Fuß nicht auf­stell­te, wenn ich fand, dass es sein soll­te. Wü­tend auf die­ses Zen­trum mit all den gläu­bi­gen Men­schen, die den gan­zen Tag sinn­los still­sit­zen, Su­tras her­un­ter­rat­tern und Run­den lau­fen. Aber auch wü­tend auf mich selbst, wenn ich ab­ge­lenkt war, ei­nen Feh­ler mach­te oder schluck­te. Oh je… war ich das?

Auf der an­de­ren Sei­te ha­be ich auch im­mer mehr Din­ge au­ßer­halb von mir selbst ge­se­hen. Als ich drau­ßen spa­zie­ren ging, konn­te ich se­hen, wie schön Blu­men tat­säch­lich sind. Ich war über­wäl­tigt von den un­zäh­li­gen Gras­hal­men des Land­schafts­gar­tens, die in der Son­ne glit­zer­ten. Ich sah, wie vie­le ver­schie­de­ne Ar­ten von In­sek­ten, Vö­geln, Frö­schen und Maul­wür­fen drau­ßen le­ben. Ein­mal dach­te ich:“ Was ist das für ein Ge­räusch?“ und dann hör­te ich den Klang­reich­tum, den der Wind durch tau­sen­de flat­tern­de Blät­ter erzeugte.

Wäh­rend des Do­ku­san (per­sön­li­ches Ge­spräch mit der Zen-Meis­te­rin) er­zähl­te ich Ji­un Ro­shi von der Wut, mit der ich saß. Es war auf­re­gend zu ihr zu kom­men, aber sie war so of­fen und freund­lich, dass die Wor­te von al­lein ka­men. Sie sag­te, dass wir im Za­zen nach un­ten schau­en, da­mit wir uns nicht zu viel mit den an­de­ren be­schäf­ti­gen. Mir wur­de klar, dass ich na­tür­lich nicht der Ein­zi­ge auf der Welt bin, der sich schon mal über je­mand an­de­ren är­gert. Sie frag­te, ob ich noch Fra­gen hät­te – und die hat­te ich – aber ir­gend­wie wuss­te ich: ich muss ein­fach wei­ter üben. Wie­der und wie­der aus den Ge­dan­ken, dem Be­ur­tei­len, dem Jam­mern, dem Hof­fen her­aus­tre­ten und zum Atem zurückkehren.

Der Sonn­tag­mor­gen ver­lief gleich wie der Sams­tag­mor­gen, und ich fing an, mich dar­auf ein­zu­las­sen! Ein­fach sit­zen, ge­hen, Tee trin­ken, put­zen …. Aber es war schon der letz­te Tag. Am Frei­tag emp­fand ich die Län­ge des Wo­chen­en­des noch be­drü­ckend, aber jetzt hat­te ich gar kei­ne Lust mehr, nach Ut­recht zu­rück­zu­fah­ren. Zu­rück in die Hek­tik, den Trott und das Ge­wohn­te. Und die Wut war mir im­mer noch ein Rät­sel. War­um war ich im­mer so är­ger­lich? Ich wuss­te so­fort: ich will weitermachen.
Die Au­to­fahrt zu­rück war be­zeich­nend für das, was sich ver­än­dert hat­te. Ich ha­be ein­fach mal kei­ne Mu­sik ge­hört und ha­be auch das Na­vi nicht be­nutzt. Auf den Schil­dern stand doch, wo­hin du dich wen­den musst, wenn du nach Ut­recht willst. Stau­nend schau­te ich durch die Wind­schutz­schei­be auf die Welt: über­all Blät­ter, Bäu­me, Grä­ser, Vö­gel, Men­schen, Häu­ser, Au­tos, Mo­to­ren, Mo­tor­rad­fah­rer, Was­ser, Wol­ken, Asphalt, Leit­plan­ken, Ge­dan­ken, Hek­to­me­ter­mar­kie­run­gen (al­le 100 Me­ter steht wie­der ei­ne!), Son­ne, mei­ne Hän­de, die Luft und Blu­men. Alles!

[1] Sie­he Fünf Ar­ten von Zen

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­rie Loui­se Linder)

Quel­le: Wat doe ik hier? aus Zen­Le­ven Herbst 2023