Was mache ich hier?
Erste Bekanntschaft mit Noorder Poort
Nach eineinhalb Jahren Zen-Training am Montagabend, Schmökern auf der zenleven.nl-Website und langem Hin- und Herüberlegen war es endlich soweit: Ich meldete mich für ein Zen-Wochenende auf Noorder Poort an.
Als ich in die kleine Straße in Wapserveen einbog, war die Spannung so stark: „Was würden das für Leute sein?“, “Komm‘ ich in eine Sekte?“, „Kann ich jemals wieder gehen?“, „Sie finden es sicher schlimm, dass ich mit dem Auto komme.“ Naja, bisher nicht sehr Zen. Ich parkte das Auto, ließ meine Mutter wissen, dass ich angekommen war, legte mein Handy weit weg und stieg aus. Aufgeregt ging ich vom Parkplatz den Schildern “Gäste“ folgend den Weg entlang. Sie führten mich zu einer Tür, aber dort wurde ich von einem anderen Schild aufgehalten: “Retreat – bitte Ruhe“. War ich zu früh? Panik! Auf dem einen Schild stand „weitergehen“, auf dem anderen „stopp!“ Was tun?
Ich drehte mich um und sah einen anderen Gast auf mich zukommen. Ein alter, lächelnder ruhig wirkender Mann zwischen 40 und 50. Er war eindeutig nicht zum ersten Mal hier. Ich erzählte Mark (so hieß er) von dem Schild und wir beschlossen, gemeinsam um das Haus herumzugehen, um einen anderen Eingang zu finden. Im Garten trafen wir glücklicherweise jemanden in Zen-Kleidung, die uns helfen konnte. Sie war sehr herzlich und hat viel gelacht. Es fühlte sich sofort so an, als würde ich sie schon seit Jahren kennen. Es stellte sich heraus, dass das Stille-Schild zu früh aufgehängt worden war, und sie nahm uns mit hinein.
Ich wurde in mein Zimmer geführt, wo ich mich dann ausgiebig einrichtete. Danach musste ich Kaffee trinken und ein Schwätzchen halten. Das Erste, was mir auffiel, war, dass ich mit Abstand der Jüngste war. Nun war ich das von den Zen-Abenden gewohnt: viele alte Leute, aber es trug trotzdem zu dem „Was- mach- ich- hier-Gefühl?“ bei.
Ich nahm mir eine Tasse Kaffee (oder hätte ich Tee nehmen sollen?! Naja, es war nun schon passiert) und setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer. Ich denke, ich habe mich gut geschlagen, indem ich versucht habe, meinen Kaffee auf eine sehr zenmäßige Weise zu trinken und Augenkontakt so weit wie möglich zu vermeiden. Alle müssen gedacht haben: „Er sieht sehr erleuchtet aus!“ Ein Gespräch blieb mir erspart.
Beim Abendessen gelang es mir besser, mich mit meinen Tischnachbarn etwas zu unterhalten. Die meisten waren schon einmal hier gewesen, und sie wirkten ziemlich entspannt. Nach dem Essen gab es eine Vorstellungsrunde und jedem wurde seine Aufgabe bei der Hausarbeit erklärt (ich musste die Toiletten putzen). Dann folgte eine Erklärung, wie die Dinge im Zendo ablaufen, und um halb acht war die erste Meditationsperiode. Ha! Das kannte ich: 25 Minuten auf einem Kissen sitzen, eine Weile gehen und dann wieder 25 Minuten sitzen. Und das Beste daran war: ich musste nichts mehr sagen!
Um zehn Uhr war es Zeit, ins Bett zu gehen. Ich erinnere mich, dass ich wegen der Hitze und der Anspannung nicht viel geschlafen habe, aber auf jeden Fall war ich froh, sicher in meinem Zimmer zu sein.
Um sechs Uhr wurden wir von Kyogen mit einem Glöckchen, mit dem er von Tür zu Tür ging, geweckt. Kyogen ist einer der Bewohner und an dem Wochenende war er auch Jikujitsu (Meditationsleiter). Ich sprang sofort unter die kalte Dusche (ich weiß von mir selbst, dass immer die Gefahr besteht, wieder einzuschlafen), zog mich an und kam zum morgendlichen Meditationsprogramm nach unten.
Der Morgen beginnt mit Tee und einer halben Reiswaffel, gefolgt von Rezitation und Meditieren. Der Rest des Tages bestand aus Sitzmeditation, Gehmeditation drinnen, zeremoniellem Teetrinken, Gehmeditation draußen (oder einfach nur Gehen) und solchen Dingen.
Um neun Uhr gab es Frühstück. Das Essen war immer köstlich: so einfach und so lecker! Und ich brauchte jetzt nicht einmal mehr ein Gespräch zu führen.
Nach dem Frühstück gab es die tägliche Hausarbeit, die ich persönlich für einen der besten Teile des Programms hielt, und dann war man frei, Tee oder Kaffee zu trinken und Obst zu essen. Ich schnappte mir eine Tasse Kaffee und eine Banane und setzte mich auf die Couch an meinen Platz vom Tag vorher. Ich nahm einen Schluck Kaffee, und noch einen Schluck und noch einen …. Und dann spürte ich plötzlich die Wirkung von Kaffee! Überrascht schaute ich mir das schwarze Zeug an: ich wusste nicht, dass Koffein so stark ist! Na gut, normalerweise trinke ich viel mehr Kaffee, also werde ich das jetzt auch überleben, dachte ich.
Um elf gab es einen Dharma-Vortrag1 von Jiun Roshi, der Zen-Meisterin. Sie sprach darüber, warum wir Zen praktizieren: nicht um für den Rest des Lebens auf einem Kissen zu sitzen, sondern um jeden Moment in vollen Zügen zu leben. Das volle Leben: in meinem Umfeld sagt man das eher an einem Abend mit Trinken und Ausgehen als an einem ruhigen Samstagmorgen. Wie kannst du das Leben voll genießen, wenn du nur sitzt, gehst und Tee trinkst? Ich wusste es nicht.
Langsam merkte ich während der Meditation, dass ich ziemlich wütend war. Huch! Wut? Ich? Aber es war so: wütend, wenn jemand einen Fehler machte oder hustete oder schluckte oder laut atmete. Wütend, wenn ich während der Gehmeditation hinter jemandem herging, der seinen Fuß nicht aufstellte, wenn ich fand, dass es sein sollte. Wütend auf dieses Zentrum mit all den gläubigen Menschen, die den ganzen Tag sinnlos stillsitzen, Sutras herunterrattern und Runden laufen. Aber auch wütend auf mich selbst, wenn ich abgelenkt war, einen Fehler machte oder schluckte. Oh je… war ich das?
Auf der anderen Seite habe ich auch immer mehr Dinge außerhalb von mir selbst gesehen. Als ich draußen spazieren ging, konnte ich sehen, wie schön Blumen tatsächlich sind. Ich war überwältigt von den unzähligen Grashalmen des Landschaftsgartens, die in der Sonne glitzerten. Ich sah, wie viele verschiedene Arten von Insekten, Vögeln, Fröschen und Maulwürfen draußen leben. Einmal dachte ich:“ Was ist das für ein Geräusch?“ und dann hörte ich den Klangreichtum, den der Wind durch tausende flatternde Blätter erzeugte.
Während des Dokusan (persönliches Gespräch mit der Zen-Meisterin) erzählte ich Jiun Roshi von der Wut, mit der ich saß. Es war aufregend zu ihr zu kommen, aber sie war so offen und freundlich, dass die Worte von allein kamen. Sie sagte, dass wir im Zazen nach unten schauen, damit wir uns nicht zu viel mit den anderen beschäftigen. Mir wurde klar, dass ich natürlich nicht der Einzige auf der Welt bin, der sich schon mal über jemand anderen ärgert. Sie fragte, ob ich noch Fragen hätte – und die hatte ich – aber irgendwie wusste ich: ich muss einfach weiter üben. Wieder und wieder aus den Gedanken, dem Beurteilen, dem Jammern, dem Hoffen heraustreten und zum Atem zurückkehren.
Der Sonntagmorgen verlief gleich wie der Samstagmorgen, und ich fing an, mich darauf einzulassen! Einfach sitzen, gehen, Tee trinken, putzen …. Aber es war schon der letzte Tag. Am Freitag empfand ich die Länge des Wochenendes noch bedrückend, aber jetzt hatte ich gar keine Lust mehr, nach Utrecht zurückzufahren. Zurück in die Hektik, den Trott und das Gewohnte. Und die Wut war mir immer noch ein Rätsel. Warum war ich immer so ärgerlich? Ich wusste sofort: ich will weitermachen.
Die Autofahrt zurück war bezeichnend für das, was sich verändert hatte. Ich habe einfach mal keine Musik gehört und habe auch das Navi nicht benutzt. Auf den Schildern stand doch, wohin du dich wenden musst, wenn du nach Utrecht willst. Staunend schaute ich durch die Windschutzscheibe auf die Welt: überall Blätter, Bäume, Gräser, Vögel, Menschen, Häuser, Autos, Motoren, Motorradfahrer, Wasser, Wolken, Asphalt, Leitplanken, Gedanken, Hektometermarkierungen (alle 100 Meter steht wieder eine!), Sonne, meine Hände, die Luft und Blumen. Alles!
[1] Siehe Fünf Arten von Zen
(aus dem Niederländischen übersetzt von Marie Louise Linder)
Quelle: Wat doe ik hier? aus ZenLeven Herbst 2023