Küchen- Haiku
Die Küche ist das Herz eines jeden Zen-Klosters. Dem Koch kommt eine wichtige Stellung zu. Schließlich müssen alle Nonnen und Mönche ernährt werden. Die Zubereitung der Speisen erfordert die richtige Einstellung und Aufmerksamkeit. Zenmeister Dogen aus dem 13. Jahrhundert hat daher eine umfangreiche Anleitung für den Koch beschrieben. Er sagt unter anderem, dass du mit folgenden drei Geisteshaltungen bei der Arbeit sein sollst: mit einem freudigen Herzgeist, der Buddha, Dharma und Sangha das Essen anbietet, mit einem gütigen Herzgeist wie dem von Eltern, die wohlwollend und freundlich zu ihren Kindern sind und mit einem Herzgeist, groß wie der Ozean, in den alles passt. Aus diesen Haltungen heraus können auch schöne Haiku entstehen.
in dem Kartoffeln kochen
mondlichte Nacht
Kyoroku (1656–1715)
Vielleicht spinkste Kyoroku, ein Schüler von Basho, dem bekannten Haiku-Dichter aus dem 17. Jhdt., über die Schulter seiner Frau oder des Dienstmädchens in den Topf auf dem Feuer und was er sah, sprach ihn an. Der Mond symbolisiert den erleuchteten Geist. Und der ist immer anwesend, auch in einem Topf mit kochenden Kartoffeln. Und sehen diese großen, runden Kartoffeln nicht selbst ein bisschen wie Monde aus?
Die samtige Zartheit des Inneren der Bohnenschoten berührte das Herz von Hosai Ozaki (1885–1926), eines japanischen Dichters, der eine freiere Versform des Haiku befürwortete. Wer wird nicht angerührt von den zarten Bohnen im Kessel?
ein mit Verleumdung beladenes Herz
beim Bohnenschälen.
Die Gedichte von Frauen wurden in Japan manchmal als Küchengedichte bezeichnet. Man könnte das als Abwertung auffassen, aber man könnte die Bezeichnung auch als Geusenwort verstehen. Denn in der Küche wurden nicht nur nahrhafte und besondere Mahlzeiten von Frauen zubereitet. Auch ihr Geist war auf natürliche Weise von klaren Einsichten geprägt. So bekommen wir wunderschöne Haiku serviert, übrigens nicht nur von buddhistischen Nonnen.
Schwester Benedicta wiegt die Zutaten ab, die sie für die Mahlzeit ihrer Mitschwestern zubereitet.
ihre kühle Rundung schwerer
als der Kopf eines Kindes.
Aus: Zaden van een berk, Clark Strand, 1998
Chigetsu-Ni (1634–1706), ebenfalls eine Schülerin Bashos, wusch das Gemüse mit großer Sorgfalt. Wer weiß, vielleicht hatte sie es selbst angebaut und gerade geerntet. Dann hört sie den Gesang des japanischen Buschlaubsängers, der den Frühling ankündigt. Und sie hält einen Moment inne, um zu lauschen.
Ich lasse meine Hände ruhen
im hölzernen Becken
Welcher Frühling erwartet Chigetsu-Ni?
Und zum Schluss ein Haiku von Prabhasa Dharma Zenji, der Meisterin, die unsere Schule gegründet hat. Während ihres Trainings verbrachte sie viel Zeit in der Küche. Eines Abends kam sie von einer Reise mit ihrem Meister zurück:
füllt die ganze Küche
mit Zwiebelsprossen.
Aus: A sudden flash of lightning, Myoko Gesshin Prabhasa Dharma Zenji
Da bemerkte sie, dass die Länge der Sprossen genau die Zeit ihrer Abwesenheit widerspiegelte. Eine plötzliche Einsicht in die Vergänglichkeit und darüber, wie das Leben in deiner Abwesenheit weitergeht.
(Übersetzt aus dem Niederländischen von Marie Louise Linder)
Quelle: Keuken haiku, ZenLeven Herbst 2023