Mar­jo­lein Ver­boom hat von 1990 bis 2021 in un­se­rer Sang­ha in­ten­siv Zen ge­übt, zu­erst als Schü­le­rin von Prab­ha­sa Dhar­ma Zen­ji und dann von Ji­un Ro­shi. 2016 wur­de sie von Ji­un Ro­shi zur Zen-Leh­re­rin er­nannt. 2021 hat sie be­schlos­sen, die­se Lehr­tä­tig­keit auf­zu­ge­ben und ih­re Zen-Übung auf an­de­re Wei­se fort­zu­set­zen. Sie ist Do­zen­tin und Ko­or­di­na­to­rin an der Fach­hoch­schu­le Ut­recht für acht­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­on. Sie ist auch Ver­trau­ens­per­son an der Hoch­schu­le und für un­se­re Sangha.

Sprech­bla­sen von links nach rechts
Obe­re Rei­he: Du bist nur mit dir selbst be­schäf­tigt? / Seit wann bist du Expert*in? / Das ist nur ei­ne Grip­pe. / Das führt zu nichts!
Mitt­le­re Rei­he: Das klappt nicht! / Sie neh­men uns die Frei­heit! / Das meinst du nicht! / Wir kön­nen auch oh­ne. / Das glau­be ich nicht. / Das ist ei­ne Verschwörung.
Un­te­re Rei­he: Wir müs­sen es rea­lis­tisch be­trach­ten. / Ich blei­be lie­ber ge­sund! / Du bist wit­zig. / Gefährlich

Ich kann es sofort in die Praxis umsetzen

Mar­jo­lein Ver­boom über acht­sa­mes Kom­mu­ni­zie­ren an der Fach­hoch­schu­le Utrecht

Die Un­ter­schie­de in der Grup­pe wa­ren groß und es brauch­te ei­ni­ge Zeit und Aus­dau­er, um ei­nen Weg zur Zu­sam­men­ar­beit zu fin­den. Ich wer­de nie den Mo­ment ver­ges­sen, in dem die Stu­die­ren­den zu dem Schluss ka­men, dass ih­re Un­ter­schie­de auf den­sel­ben grund­le­gen­den Be­dürf­nis­sen nach Ge­sund­heit, Si­cher­heit und Frei­heit be­ruh­ten. Sie wur­den nie en­ge Freun­de, aber sie ver­such­ten auf­rich­tig, ein­an­der zu­zu­hö­ren. Das war der Mo­ment, in dem ich dach­te: Wie schön wä­re es, wenn je­der dies ler­nen wür­de, am bes­ten von klein auf.

Wäh­rend der Co­ro­na-Zeit, als der Un­ter­richt ge­ra­de wie­der auf­ge­nom­men wur­de, un­ter­rich­te­te ich ei­ne Grup­pe von 12 Stu­die­ren­den. Es wur­de schnell klar, dass die Grup­pe aus zwei lei­den­schaft­li­chen Impfgegner*innen be­stand, ei­ner Per­son, die ei­gent­lich nicht mit Un­ge­impf­ten in ei­nem Raum sein woll­te, ei­ner glü­hen­den Befürworter*in der staat­li­chen Maß­nah­men und ei­ner ge­impf­ten Mehr­heit, die sich über­haupt nicht mit dem The­ma be­schäf­ti­gen woll­te. Manch­mal er­hitz­ten sich die Ge­mü­ter. Ich er­teil­te die­se Un­ter­richts­stun­de im Rah­men des Ne­ben­fachs ‚Acht­sa­mes Kom­mu­ni­zie­ren‘, ei­nem Wahl­fach­pro­gramm der Fach­hoch­schu­le Ut­recht, das al­len Stu­die­ren­den an nie­der­län­di­schen Hoch­schu­len of­fen­steht. Ver­bun­de­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on (con­nec­ting com­mu­ni­ca­ti­on) ist ei­ne Me­tho­de, die auf der von Mar­shall Ro­sen­berg ent­wi­ckel­ten ge­walt­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on ba­siert. Con­nec­ting Com­mu­ni­ca­ti­on lehrt, wie man Ver­ständ­nis für sich selbst und an­de­re ent­wi­ckelt, wie man durch auf­rich­ti­ges und of­fe­nes Zu­hö­ren Lö­sun­gen fin­det und wie man sich der Ge­füh­le und Be­dürf­nis­se sei­ner selbst und an­de­rer be­wusst­wird. Von dort aus kön­nen Sie ei­ne auf­rich­ti­ge Bit­te an die an­de­re Per­son rich­ten und die an­de­re Per­son an Sie. Das hört sich schön an und das ist es auch, aber es kann har­te Ar­beit sein, wenn die Men­schen die Din­ge sehr ver­schie­den­ar­tig betrachten.

Studierende wollen “Zen” werden

Vor zehn Jah­ren hat die Fach­hoch­schu­le Ut­recht das Ne­ben­fach Acht­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­on [1] ein­ge­führt, ein Wahl­fach im drit­ten oder vier­ten Stu­di­en­jahr, das 20 Wo­chen in An­spruch nimmt. In die­ser Zeit er­hal­ten die Stu­die­ren­den ein um­fas­sen­des Acht­sam­keits­trai­ning mit ei­ner Ver­tie­fung des Mit­ge­fühls, ein fort­lau­fen­des Trai­ning in ‚ver­bin­den­der Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ und Un­ter­richts­ein­hei­ten zu bud­dhis­ti­schen, phi­lo­so­phi­schen und psy­cho­lo­gi­schen The­men. Am En­de ent­wer­fen die Stu­die­ren­den ei­ne An­wen­dung in ih­rem ei­ge­nen Fach­be­reich. Wir ar­bei­ten der­zeit mit ei­nem Team von acht Lehr­kräf­ten für et­wa 135 Stu­die­ren­de pro Jahr. Die Stu­die­ren­den kom­men aus al­len Fach­be­rei­chen: vom Grund­schul­lehr­amt bis hin zu In­for­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik, von So­zi­al­ar­beit bis Kul­tur- und Krea­tiv­wirt­schaft und von Ge­sund­heits­we­sen bis Chemie.

Wenn wir die Stu­die­ren­den zu Be­ginn fra­gen, war­um sie die­ses Wahl­fach ge­wählt ha­ben, lau­tet die Ant­wort in der Re­gel: “Weil ich Frie­den (in mei­nem Kopf) su­che”. Meh­re­re Um­fra­gen un­ter jun­gen Men­schen zei­gen, dass das Be­dürf­nis nach Stress­be­wäl­ti­gung, Ru­he und Sta­bi­li­tät in den letz­ten Jah­ren auf­grund des zu­neh­men­den Leis­tungs­drucks, der so­zia­len Me­di­en und fi­nan­zi­el­ler Pro­ble­me er­heb­lich zu­ge­nom­men hat, und auch Co­vid hat ei­nen gro­ßen Ein­fluss auf die­se Ge­ne­ra­ti­on. Was sich im Ver­gleich zu vor zehn Jah­ren ge­än­dert hat, ist, dass die Stu­die­ren­den heu­te mehr Er­fah­rung mit ver­schie­de­nen For­men der Me­di­ta­ti­on ha­ben. Über die Hälf­te der Grup­pe, die im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber be­gann, nutz­te schon vor dem Kurs (ge­führ­te) Me­di­ta­tio­nen über ei­ne App, prak­ti­zier­te Yo­ga oder hat­te be­reits ei­nen Acht­sam­keits­kurs besucht.

Vie­le Stu­die­ren­de ha­ben ho­he Er­war­tun­gen an die Acht­sam­keit, weil sie hof­fen, dass sie da­durch so schnell wie mög­lich ru­hig, glück­lich und “zen” wer­den. Die an­fäng­lich ho­he Mo­ti­va­ti­on wird schnell auf die Pro­be ge­stellt, denn die täg­li­che Pra­xis zu Hau­se ist meist schwie­ri­ger als er­war­tet. Sich des Atems, der Sin­nes­ein­drü­cke, der Ge­dan­ken und Ge­füh­le be­wuss­ter zu wer­den, oh­ne sie mit Ge­schich­ten zu um­we­ben, kann kon­fron­ta­tiv, lang­wei­lig oder un­an­ge­nehm sein. Ru­he ist nicht un­be­dingt gleich­be­deu­tend mit Wohlfühlen.

Johannes Vermeer – Dame mit Dienstmagd und Brief

Jo­han­nes Ver­meer – Da­me mit Dienst­magd und Brief

Der Kurs be­schäf­tigt sich mit dem The­ma Stress, wie er funk­tio­niert und wie man da­mit um­ge­hen kann. Die Teil­neh­mer tau­schen sich re­gel­mä­ßig über ih­re Er­fah­run­gen aus, manch­mal zu zweit, manch­mal in der gan­zen Grup­pe. Sie ent­wi­ckeln Ein­sicht in ih­re Mus­ter und au­to­ma­ti­sche Re­ak­tio­nen und er­kun­den für sich selbst, wie sie auf Stress auf ei­ne hilf­rei­che­re, we­ni­ger schäd­li­che Wei­se für sich selbst und an­de­re re­agie­ren können.

Achtsamkeitsbasierte Stressreduzierung

Das Acht­sam­keits­trai­ning be­steht aus Auf­merk­sam­keits- und Be­we­gungs­übun­gen in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ni­gen Ele­men­ten aus der ko­gni­ti­ven Ver­hal­tens­the­ra­pie. Die Acht­sam­keits­übun­gen ba­sie­ren auf An­wei­sun­gen aus dem Sa­ti­pattha­na Su­tra, ei­ner Me­di­ta­ti­ons­form, die der Vi­pas­sa­na-Me­di­ta­ti­on am nächs­ten kommt. Me­di­ta­ti­on be­deu­tet in die­sem Zu­sam­men­hang: ge­führ­te Me­di­ta­tio­nen, um sich der Emp­fin­dun­gen in Kör­per und Geist, des Atems und der Sin­nes­er­fah­run­gen be­wusst zu wer­den. Sie kon­zen­triert sich auch auf das Er­ken­nen von Ge­wohn­heits­mus­tern und au­to­ma­ti­schen Stress­re­ak­tio­nen. Mit mehr Selbst­er­kennt­nis wird es leich­ter, Mus­ter zu er­ken­nen und ge­sün­de­re Ent­schei­dun­gen frü­her und be­wuss­ter zu tref­fen. Wir füh­ren die Stu­die­ren­den ein in das acht­wö­chi­ge Trai­ning zur acht­sam­keits­ba­sier­ten Stress­re­du­zie­rung (MBSR), das in den 1980er Jah­ren von Jon Ka­bat Zinn, da­mals Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­ty of Mas­sa­chu­setts Me­di­cal Cent­re, ent­wi­ckelt wur­de. Er hat­te selbst jah­re­lang ei­ne bud­dhis­ti­sche Le­bens­wei­se prak­ti­ziert und such­te nach ei­ner Mög­lich­keit, die­se sei­nen Pa­ti­en­ten mit chro­ni­schen Schmer­zen, die nicht (mehr) in Be­hand­lung wa­ren, zu­gäng­lich zu ma­chen. Sei­ne Mo­ti­va­ti­on war es, Lei­den zu lin­dern und mehr Mit­ge­fühl und Weis­heit zu för­dern. Mit dem glei­chen Wunsch wur­de ich Acht­sam­keits­trai­ne­rin und Zen-Prak­ti­zie­ren­de und fin­de nun in mei­ner Ar­beit ei­ne Mög­lich­keit, die Früch­te des Zen und der Acht­sam­keit an jun­ge Men­schen wei­ter­zu­ge­ben und gleich­zei­tig mei­ne ei­ge­ne Pra­xis le­ben­dig zu halten.

In den ers­ten Wo­chen be­rich­ten die Stu­die­ren­den oft, dass es ih­nen zu Hau­se nicht ge­lun­gen ist zu me­di­tie­ren, dass sie sich nicht kon­zen­trie­ren konn­ten, dass es so vie­le Ge­dan­ken und Ab­len­kun­gen gab. All­mäh­lich setzt sich die Er­kennt­nis durch, dass all die­se Din­ge zum Üben da­zu­ge­hö­ren. Die Be­schäf­ti­gung mit Er­folg oder Miss­erfolg nimmt mit der Zeit ab, es ent­wi­ckelt sich mehr Ge­duld und Ak­zep­tanz für den Übungs­pro­zess. Ein wich­ti­ger Fak­tor im Acht­sam­keits­trai­ning ist der Er­fah­rungs­aus­tausch un­ter­ein­an­der, manch­mal zu zweit, manch­mal in der Grup­pe. Es ist be­frei­end und be­we­gend, zu er­fah­ren, dass man nicht al­lein ist. Was das Üben zu Hau­se be­trifft, so be­gin­nen die Teil­neh­mer oft, sich ge­gen­sei­tig Mut zu ma­chen, sich Apps zu­zu­sen­den oder sich zum ge­mein­sa­men Üben zu ver­ab­re­den. In der Co­ro­na-Zeit ha­ben die Stu­die­ren­den au­ßer­halb des Un­ter­richts re­gel­mä­ßig ge­mein­sam on­line me­di­tiert. Als Leh­ren­de üben wir mit den Stu­die­ren­den und tun un­ser Bes­tes, um mit gu­tem Bei­spiel vor­an­zu­ge­hen. Wir hö­ren so un­vor­ein­ge­nom­men wie mög­lich zu, sind in­ter­es­siert, er­mu­ti­gen, er­ken­nen an und la­den sie ein, wei­ter zu üben. Auf die­se Wei­se ent­wi­ckeln sie nach und nach mehr Selbst­er­kennt­nis, mehr Ver­bun­den­heit mit sich selbst und mehr Ver­ständ­nis für an­de­re Menschen.

San­zen im Tem­pel Oh­a­ra; Quel­le My Kyo­to Machiya

Studierende sind nicht anders als Zen-Praktizierende

In der zwei­ten Kurs­hälf­te ist ein Spa­zier­gang im Schwei­gen in der mehr oder we­ni­ger länd­li­chen Ge­gend von Ame­lis­weerd vor­ge­se­hen, die an den Wis­sen­schafts­park Ut­recht an­grenzt, in dem sich auch die Fach­hoch­schu­le Ut­recht be­fin­det. Für ei­ni­ge Stu­die­ren­de ist dies das ers­te Mal, dass sie ei­ne hal­be Stun­de lang oh­ne Te­le­fon un­ter­wegs sind. Dann sa­gen sie: “Aber was, wenn ich ge­ra­de ei­nen wich­ti­gen An­ruf oder ei­ne App be­kom­me? Oder es pas­siert et­was auf dem Weg?” Sie se­hen al­so, die Stu­die­ren­den un­ter­schei­den sich nicht von den Zen-Prak­ti­zie­ren­den. Im Durch­schnitt sind sie viel­leicht et­was jün­ger, aber ich er­in­ne­re mich an Sess­hins, bei de­nen Ji­un Ro­shi die Leu­te mehr­mals er­mu­ti­gen muss­te, das Te­le­fon wirk­lich kom­plett aus­zu­schal­ten. Selbst für Stu­die­ren­de kann es al­so ei­ne be­son­de­re Er­fah­rung sein, plötz­lich den Wind auf der Haut zu spü­ren, ei­nen Vo­gel sin­gen zu hö­ren oder ganz im Ra­scheln der Blät­ter auf­zu­ge­hen, wenn auch nur für ei­nen Mo­ment. Das ist es, was sie uns am En­de des Kur­ses er­zäh­len: dass sie den Tee oder das Es­sen wirk­lich ge­schmeckt ha­ben, dass sie er­lebt ha­ben, wie es ist, ei­nem an­de­ren Men­schen auf­rich­tig zu­zu­hö­ren, oh­ne gleich mit ei­ner ei­ge­nen Ge­schich­te auf­zu­war­ten: das sind ein­fa­che Din­ge mit gro­ßer Wirkung.

Acht­sam­keit und ‚ver­bin­den­de Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ sind nicht un­be­dingt bud­dhis­tisch, aber aus bud­dhis­ti­scher Sicht se­he ich die­se Übun­gen als zwei Prak­ti­ken des acht­fa­chen Pfa­des: rech­te Auf­merk­sam­keit und rech­te Re­de. Im Rah­men des eher theo­re­ti­schen The­mas “Quel­len & The­men” wid­men wir ei­ne Sit­zung spe­zi­ell dem Bud­dhis­mus, und zwar den vier ed­len Wahr­hei­ten. Die Stu­die­ren­den sind ein­ge­la­den, zu er­for­schen, wie die­se ed­len Wahr­hei­ten in ih­rem ei­ge­nen Le­ben wir­ken. An­hand ei­ner Schreib­übung, in der sie al­le ihr ei­ge­nes (gro­ßes) Ver­lan­gen so­wie et­was, das sie (sehr) ver­ab­scheu­en, her­aus­ar­bei­ten, un­ter­su­chen sie die Wor­te Bud­dhas. Wor­an er­ken­nen Sie, dass Ver­lan­gen oder Ab­nei­gung Un­zu­frie­den­heit ver­ur­sa­chen? An­schlie­ßend tau­schen die Stu­die­ren­den ih­re Er­fah­run­gen in Klein­grup­pen und spä­ter in der Ge­samt­grup­pe aus. Ich fin­de es er­staun­lich, wie schnell sie et­was von die­sen ed­len Wahr­hei­ten be­grei­fen, zum Bei­spiel: “Wenn ich zu sehr von mei­nem Wunsch nach ei­ner Lie­bes­be­zie­hung be­ses­sen bin, ver­ges­se ich, mir des­sen be­wusst zu sein, was be­reits da ist”. Oder die Ein­sicht in die Fol­gen des Fest­hal­tens an der Ab­nei­gung: “Ich has­se es zu­tiefst, wenn je­mand lügt. Aber ich er­ken­ne, dass ich mich manch­mal sehr lan­ge da­mit be­schäf­ti­gen kann. Das ist Ver­schwen­dung mei­ner En­er­gie, und ich tue da­mit viel­leicht an­de­ren Unrecht.”

Ver­bun­de­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ und Acht­sam­keit ver­stär­ken sich ge­gen­sei­tig: Um et­was über Ge­füh­le und Be­dürf­nis­se zu er­fah­ren, hilft es, still zu sit­zen und Au­gen­blick für Au­gen­blick zu er­le­ben, was in ei­nem selbst und au­ßer­halb ge­schieht. In der zwei­ten Kurs­hälf­te ver­tie­fen wir die Acht­sam­keit mit (Selbst-)Mitgefühl, und es wird viel mit der Met­ta- oder Freund­schafts­me­di­ta­ti­on und ih­ren Va­ri­an­ten ge­übt, bei der man in der Me­di­ta­ti­on freund­li­che Wün­sche an sich selbst und an­de­re sen­det. Ein jun­ger Mann schrieb hin­ter­her: “Es hat mich wei­cher und lie­be­vol­ler ge­macht und schluss­end­lich ei­nen ein biss­chen bes­se­ren Menschen.“

Viel Gefragt

Als Leh­ren­de be­mü­hen wir uns, den Prin­zi­pi­en der ‚ver­bin­den­den Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ und Acht­sam­keit so­wie den An­for­de­run­gen ei­nes Fach­hoch­schul­stu­di­ums treu zu blei­ben. Wir ha­ben zum Bei­spiel ei­ne Wei­le ge­braucht, um ei­nen gu­ten Test für das Acht­sam­keits­trai­ning zu ent­wi­ckeln. Die Leis­tung ei­ner Per­son in Be­zug auf “Acht­sam­keit” auf Fach­hoch­schul­ni­veau zu be­ur­tei­len scheint ei­ne un­lös­ba­re Auf­ga­be zu sein, und das ist auch so. Al­so ma­chen wir es nicht. Als Ab­schluss­ar­beit rei­chen die Stu­die­ren­den ei­nen Be­richt ein, der ein Log­buch, wö­chent­li­che Auf­ga­ben und ei­nen Re­fle­xi­ons­be­richt ent­hält, in dem sie Ver­bin­dun­gen zwi­schen der Theo­rie, dem Trai­ning und ih­ren per­sön­li­chen Er­fah­run­gen her­stel­len. Da­bei stüt­zen sie sich auf die Li­te­ra­tur über Acht­sam­keit, Mit­ge­fühl und ‚ver­bin­den­de Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ [2].

San­zen im Tem­pel Oh­a­ra; Quel­le My Kyo­to Machiya

Es ist ein be­kann­tes Phä­no­men, dass Teilnehmer*innen ei­nes Acht­sam­keits­trai­nings ver­su­chen, es “rich­tig” zu ma­chen und die Acht­sam­keits­übun­gen als “ge­lun­gen oder miss­lun­gen”, als “gut oder schlecht” zu be­wer­ten. Im Rah­men ei­nes Stu­di­ums scheint dies noch aus­ge­präg­ter zu sein. Schließ­lich sind Be­ur­tei­lun­gen ein wich­ti­ger Be­stand­teil je­des Stu­di­ums. In un­se­rem Kurs ma­chen wir ei­nen deut­li­chen Un­ter­schied zwi­schen Üben und Tes­ten. Üben be­deu­tet ein­fach, die Auf­merk­sam­keits­übun­gen oh­ne Be­wer­tung aus­zu­füh­ren, mit ei­ner Hal­tung der Mil­de und Freund­lich­keit ge­gen­über al­lem, was zum Vor­schein kommt. Der Teil, in dem die Stu­die­ren­den dann be­wer­tet wer­den, ist ih­re Re­fle­xi­ons­fä­hig­keit, ihr Wis­sen über die Hin­ter­grün­de der Acht­sam­keit und die Fä­hig­keit, Ver­bin­dun­gen zwi­schen per­sön­li­chen Er­fah­run­gen, dem Trai­ning und der Theo­rie her­zu­stel­len. Dar­über hin­aus ent­wer­fen die Stu­die­ren­den ei­ne An­wen­dungs­mög­lich­keit in ih­rem ei­ge­nen Fach­be­reich. Da­bei kann es sich um so un­ter­schied­li­che Din­ge wie spie­le­ri­sche Acht­sam­keits­übun­gen für Grund­schul­kin­der oder ei­ne Web­site für Fach­kräf­te im Ge­sund­heits­we­sen mit Vi­de­os und Bei­spie­len für Pa­ti­en­ten­ge­sprä­che auf der Grund­la­ge ‚ver­bin­den­der Kom­mu­ni­ka­ti­on‘ handeln.

In den Eva­lua­tio­nen wird der Kurs von den Stu­die­ren­den (sehr) po­si­tiv be­wer­tet, auch wenn der Um­fang der Haus­auf­ga­ben manch­mal kri­ti­siert wird: “Es wird ziem­lich viel von ei­nem ver­langt, was tat­säch­lich Stress macht.“ Die meis­ten be­rich­ten im Nach­hin­ein, dass sie sich nach dem Kurs in der Re­gel frei­er füh­len, mehr Selbst­be­stim­mung in die Pra­xis um­set­zen kön­nen und oft ei­ne po­si­ti­ve­re Sicht auf sich selbst und die Welt um sie her­um ge­won­nen ha­ben. Auch die Ein­sicht, dass Ge­dan­ken “nur Ge­dan­ken” sind und nicht die Wirk­lich­keit, so wie sie ist, wi­der­spie­geln, er­le­ben sie als be­frei­end. In­ter­es­sant fin­de ich die Kom­men­ta­re so­wohl von mus­li­mi­schen als auch von christ­li­chen Stu­die­ren­den, die an­ge­ben, dass der Kurs ih­nen ge­hol­fen hat, bes­ser, auf­merk­sa­mer und in­ten­si­ver zu be­ten. Manch­mal er­zäh­len uns Stu­die­ren­de, ihr Um­feld ha­be be­merkt, dass sie ru­hi­ger und freund­li­cher ge­wor­den sind. Ein ein­fa­ches Bei­spiel da­für ist, dass sie sich nicht mehr mit ih­ren Mitbewohner*innen über das Auf­räu­men oder das Aus­räu­men der Spül­ma­schi­ne strei­ten. Sie stel­len ver­bind­li­che For­de­run­gen, an­statt vor­wurfs­vol­le Be­mer­kun­gen zu ma­chen. Na­tür­lich wird es im­mer wie­der un­auf­ge­räum­te Ge­schirr­spü­ler, Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten und stres­si­ge Si­tua­tio­nen ge­ben, und na­tür­lich be­merkt nicht je­de und je­der so­fort po­si­ti­ve Aus­wir­kun­gen, aber die­se jun­ge Ge­ne­ra­ti­on hat Werk­zeu­ge er­hal­ten und Fä­hig­kei­ten er­wor­ben, die sie jetzt und in Zu­kunft so­fort in die Pra­xis um­set­zen kann.

[1] Dies ist den Be­mü­hun­gen der Grün­de­rin Ka­rin Bos­veld, der ehe­ma­li­gen Ko­or­di­na­to­rin Pau­la Bors­boom und dem Aus­bil­dungs­lei­ter Ri­chard Vers­mis­sen zu verdanken.
[2] Dar­un­ter Mark Wil­liams & Dan­ny Pen­man, Mindful­ness, een prak­ti­sche gids om rust te vin­den in een hec­ti­sche we­reld (Uit­ge­ve­rij Nieu­we­zijds, 2011); Erik van den Brink en Frits Kos­ter, Com­pas­sie­vol le­ven. Een mindful­ness-ba­sed ver­die­pin­gs­pro­gram­ma (Boom, 2016); Er­win Tie­lem­ans, Ver­bin­den­de com­mu­ni­ca­tie werkt (Ga­rant, 2017)

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Do­ris Behrens)

Quel­le: Ik kan het me­teen in prak­ti­jk bren­gen, Zen­Le­ven Herbst 2023