Hans Red­din­gi­us (geb. 1930) war seit den 1970er Jah­ren von der ja­pa­ni­schen Vers­form des Hai­ku fas­zi­niert. Er ist seit vie­len Jah­ren ak­ti­ves Mit­glied des Hai­ku-Krei­ses Nie­der­lan­de, und sie­ben Jah­re lang war er Chef­re­dak­teur des nie­der­län­disch-flä­mi­schen Hai­ku-Ma­ga­zins Vu­urs­teen. Seit 1998 prak­ti­ziert er Zen, u.a. in Retre­ats auf Noor­der Po­ort. Er be­treut die Hai­ku-Ru­brik für ZenLeven.
Bild­re­dak­teur Ar­dan Tim­mer mach­te die Illustrationen.

Sonnenlicht

Oh­ne Son­nen­licht wä­re das Le­ben auf der Er­de un­mög­lich. Die Son­ne ist gleich­sam der Bo­den un­se­rer Exis­tenz, oder bes­ser ge­sagt: der Mo­tor, der uns in Gang hält. Dank der Son­ne kön­nen wir le­ben und ver­su­chen uns dar­auf zu be­sin­nen, dass wir le­ben­de We­sen sind.

Pflau­men­blü­ten­duft
und plötz­lich scheint die Sonne
auf dem Höhenweg!
Bas­ho (1644–1694)

 

Es war Win­ter. Die Son­ne hat sich zu­rück­ge­hal­ten. Der Pflau­men­blü­ten­duft kün­digt das Früh­jahr an – und ja! Da ist die Son­ne wie­der. Du me­di­tierst, be­trach­test, und nä­herst dich dem, wor­um es geht, was ein Neu­be­ginn für dich be­deu­ten kann …. und auf ein­mal wird al­les klar.

Fe­bru­ar­son­ne
aus Schals und Kragen
tau­chen Köp­fe auf.
Gus­ta van Gulik

 

Im Win­ter kannst du dich ein­ge­sperrt füh­len. Du strebst nach dem Licht, das noch da ist, aber du kannst nicht dar­in eintauchen.

Zwi­schen die Gitterstäbe
streckt die Taube
ei­nen Flü­gel aus.
Kyo­ko (1866-?)

 

Die Son­ne kann uns dar­an er­in­nern, dass wir kei­ne un­ab­hän­gi­gen We­sen sind. Wir sind wie Er­schei­nun­gen in ei­ner wei­ten Welt, die sich stän­dig ver­än­dert und wor­in wir ei­ne vor­über­ge­hen­de Rol­le spielen.

Die Son­ne dringt durch
und macht Strandwanderer
zu Statisten.
Loe­ke Groenendal

 

Die Son­ne scheint weiter
doch wäh­rend der Beerdigung
wech­selt sie das Fenster.
Nan­ne­ke Huizinga

 

Ehr­lich ge­sagt: manch­mal gibt die Son­ne zu viel des Guten.

Der Asphalt schmilzt
ei­ne ka­na­ri­en­gel­be Sonne
quietscht vor Hitze.
W.J. van der Molen

 

In der pral­len Sonne
ist dein Schirm, mei­ne Liebe,
doch be­son­ders klein!
Sei­ho (1882-?)

 

Auch wenn al­les un­deut­lich ist und oh­ne Per­spek­ti­ve, es gibt im­mer die Si­cher­heit: das Son­nen­licht ist da.

Die Son­ne geht auf
nichts an­de­res ist sichtbar
im Ne­bel über dem Meer.
Shiro (1724 – 1815)

 

Und die fol­gen­den zwei Hai­kus be­dür­fen kei­nes Kom­men­tars von mir (und die vo­ri­gen viel­leicht auch nicht).

Mor­gen­dunst
die Son­ne versilbert
die Stille.
Ria Gis­kes

 

Die Son­ne bricht durch
auf der Schei­de von Luft und Wasser
Sil­ber si­ckert ins Meer.
Jac Vroe­men

 

Die Hai­kus von Bas­ho sind ent­nom­men aus: Bas­ho: ge­lu­id van wa­ter. Hai­ku über­setzt aus dem Ja­pa­ni­schen von H. Ker­len, Soest 1989

Die Hai­kus von Kyo­ko, Sei­ho und Shiro sind ent­nom­men aus: Hai­ku. En jon­ge man. Jap. Hai­ku aus dem 15. Jhdt. bis heu­te, Ein­lei­tung und Über­set­zung von J. van Too­ren. Meu­len­hoff, Ams­ter­dam, 1973

Die üb­ri­gen Hai­kus sind ent­nom­men aus: om niets om al­les, bloem­le­zing uit 4 jaar Hai­ku Kring Ne­der­land. HKN 2020

(aus dem Nie­der­län­di­schen über­setzt von Ma­rie Loui­se Linder)

Quel­le: Het zon­licht, Zen­Le­ven, Früh­jahr 2021